domradio.de: Zum zweiten Mal besucht Putin den Papst - mit welcher Absicht diesmal?
Boris Reitschuster (freier Autor und Publizist in Berlin): Ich denke, das ist ein bisschen Ersatzprogramm für den G8-Gipfel, da er da ja nicht eingeladen wurde und nicht dabei sein durfte, denke ich, dass er hier etwas weltmännische Geläufigkeit demonstrieren möchte und auch ein paar Fotos zeigen möchte, die belegen sollen, dass er doch nicht ganz isoliert ist in der westlichen Welt.
domradio.de: Wenn es nach der russisch-orthodoxen Kirche geht, sollte die Christenverfolgung im Nahen Osten im Mittelpunkt des Treffens am Mittwoch stehen. Auch über Ehe und Familie würde sich Putin gerne austauschen, den Ukraine-Konflikt aber eher hinten anstellen. Denken Sie, dass Franziskus sich darauf einlassen wird?
Reitschuster: Meine Meinung ist, dass er sich darauf nicht einlassen wird, denn das Thema ist viel zu wichtig als dass er sich hier eine andere Tagesordnung vorschreiben lassen könnte. Das ist immerhin ein Feuer, das da flammt. Davor die Augen zu verschliessen und über etwas ganz anderes zu reden - ich glaube, dazu ist dieser Papst zu nahe an den Ereignissen und zu wenig - Gott sei Dank - Diplomat.
domradio.de: Der Ukraine-Konflikt ist für Franziskus ja ein besonders heikles Terrain, denn von ukrainischer Seite wurde dem Papst vorgeworfen, er verharmlose die russische Aggression....
Reitschuster: Ich denke, dass er hier durchaus deutlichere Worte noch hätte finden können. Aber dass er sich scheut, das in der Öffentlichkeit zu tun, bedeutet ja nicht, dass er hinter verschlossenen Türen das nicht ansprechen wird. Die Beziehungen zwischen Russland und der katholischen Kirche, vor allem dem Papst sind ein ganz stark vermintes Terrain. In einem seiner letzten Treffen hat mir beispielsweise der ermordete russische Oppositionspolitiker und frühere Vizepremier Boris Nemzoff da Beispiele erzählt.
domradio.de: Wie wird der Besuch denn in Russland gesehen?
Reitschuster: Ich denke, die Kirche ist darüber nicht sehr glücklich, die versucht immer die Verbindungen zum Vatikan so gering wie möglich zu halten. Man hat riesige Angst davor, dass ein Papst einmal auf russischen Boden kommt, aber die Kirche ist auch Empfehlsempfänger von Putin. Sie ist kein eigenständiges Machtzentrum, sondern wenn der Kreml ganz klar den Ton vorgibt, dann nimmt die Kirche das auch hin. Abseits der Kirche wird es als Zeichen dafür gesehen und vor allem auch dargestellt werden, dass Wladimir Putin hier gute Beziehungen hat, angesehen ist und sogar vom Papst empfangen wird, so werden dass die russischen Medien darstellen.
domradio.de: Wenn Putin beim Papst "Schönwetter machen" will, auch im Zusammenhang mit dem G7-Gipfel. Warum lässt sich der Papst darauf ein?
Reitschuster: Die katholische Kirche versucht seit langem dieses enorme Eis, das sie von der orthodoxen Kirche trennt, etwas zum Schmelzen zu bringen. Ich denke, das ist sozusagen die Geschäftsgrundlage: Man bietet Putin hier etwas Sonne, in der er glänzen kann und im Gegenzug hofft man, dass er die Spannungen mit der orthodoxen Kirche etwas zurückführt.
domradio.de: Sie erwarten aber schon deutliche Worte zum Ukraine-Konflikt?
Reitschuster: Ich erwarte sie, allerdings nicht öffentlich.
Wenn sie hinter den Kulissen fallen und nicht öffentlich gemacht werden, dann werden sie Putin auch nicht sonderlich beeindrucken. Worauf er hört, ist öffentliche Kritik.
Das Interview führte Susanne Becker -Huberti