Rowan Williams erleichtert über neues Leben ohne Canterbury

Zurück zu Shakespeare

Noch vor wenigen Jahren zählte Rowan Williams zu den wichtigsten Vertretern christlicher Kirchen weltweit. Vor der Zeit gab er 2012 sein Amt als Primas der Anglikaner zurück - und präsentiert sich mit 65 Jahren befreit.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Wer immer Rowan Williams begegnet, seit er die Mitra des Erzbischofs von Canterbury abgelegt hat, scheint ihn erleichtert vorzufinden. Erleichtert um die Last des Primasamtes einer schwierigen anglikanischen Weltgemeinschaft; erleichtert um die Verantwortung für den Zusammenhalt der Streithähne um Bischöfinnen und homosexuelle Bischöfe; erleichtert um einen Bischofsstab und schwere goldene Gewänder. Ein einfacheres Leben? "Na, was denken Sie denn?", fragte er übermütig den Chefreporter des "Daily Telegraph" bei einer Homestory in Cambridge.

Am Sonntag wurde Rowan Williams 65 Jahre alt. Die fast greifbare Erschöpfung eines Mannes, der für sein unmögliches Amt «die Konstitution eines Ochsen und die Haut eines Rhinozeros» benötigte, wie er selbst sagte, ist verschwunden, die Spannkraft zurück. Und offenbar auch die Kreativität des walisischen Barden und Poeten. Nach zehn turbulenten Jahren im Amt (2002-2012) war er einem Ruf ans Magdalene College in Cambridge gefolgt.

Zuletzt hat er zum Jahreswechsel ein Theaterstück über William Shakespeare (1564-1616) abgeschlossen - zu dessen 400. Todestag. Tief ist Rowan Williams dafür in die Shakespeare-Forschung eingestiegen.

Die These des einst obersten Anglikaners: Der Dichter war höchstwahrscheinlich katholisch. Das Stück basiert auf fiktiven Gesprächen zwischen dem jungen Shakespeare und dem katholischen Ordensmann Edmund Campion (1540-1581). Williams: "Wir wissen, dass beide im selben Haus in Lancashire logierten. Ich fand es wundervoll, mit dem Gedanken zu spielen: Was haben ein jesuitischer Märtyrer und ein Mann wie Shakespeare einander wohl zu sagen gehabt?"

Selbst als Primas hat sich der Professor-Poet Williams Zeit zum Schreiben genommen. Einige der kürzlich als Buch erschienenen Gedichte sind damals entstanden. "Naja, ich hatte schon einen Ganztagsjob", sagt er trocken. Den er aber doch auch gerne übernommen hat? - "Nicht allzu sehr. Warum auch? Nun ja, da war wohl dieser törichte, eitle und unreife Teil von mir, der sagte: 'Oh, ein wichtiger Posten - wie überaus nett.' Aber der Rest von mir, der warnte: 'Ach, jetzt hör aber auf!'"

Vieles von dem Spott, der während seiner Amtszeit über ihn ausgegossen wurde, ärgert Williams bis heute. "Einige Leute sagten, er war ein zu netter Mensch für den Job, zu intelligent und sogar zu heilig, um eine Kirche zu leiten, deren Mitglieder sich wie ein Sack Katzen prügeln konnten", schreibt der "Telegraph". Andere hätten gemeint, er sei "viel zu sehr aus der Welt, um von irgendeinem Nutzen zu sein". - "Oh ja, daran erinnere ich mich", hakt Williams ein. "So von wegen: Gott schreibt Gedichte." Dabei sei Poesie nicht "aus der Welt". "Es ist eine Art und Weise, sich besonders intensiv mit diesem viel geschmähten Gebilde zu verbinden, das wir Welt nennen."

Da ist sie wieder, diese reflektierte Intellektualität, die selbst viele seiner Landsleute an den Rand ihrer Englischkenntnisse brachte. Volkstümlichkeit und Populismus waren nie seine Sache. Mit rhetorischer Brillanz legte Williams zwar häufig seine Hand in Wunden der Gesellschaft, sprach unbequeme Wahrheiten an. Leider gelang es ihm dabei häufig nicht, sich selbst zu übersetzen.

Vor seiner Bischofskarriere lehrte Williams in Oxford. Von Haus aus ein waschechter Liberaler, musste er als Primas immer wieder die Brücke zwischen Traditionalisten und allzu linkslastigen Reformern schlagen. "Seine Liberalen" fühlten sich dabei von ihrem einstigen Mitstreiter vergessen. Schon wieder so ein Shakespeare-Motiv: der Falstaff aus "Heinrich V."

Als der gebürtige Waliser im Dezember 2002 "Canterbury" wurde, war er ein mit 52 Jahren noch vergleichsweise junger Hoffnungsträger: Barde, Dichter, Druide. Doch sein Amt als Diener der Kircheneinheit hat ihn manches Mal wider Willen nach rechts gedrückt. Vor allem seine lesbischen und schwulen Freunde hätten sich von ihm Stich gelassen gefühlt.

Ein Bonbon seiner Amtszeit war die "Royal Wedding" von Kronprinz William und Kate Middleton im April 2011. Der Erzbischof von Canterbury, der sich selbst auch als "skurriler Pfarrer der Nation" bezeichnete, hatte einen besseren Platz als Hunderte TV-Kameras und Millionen Briten am Fernseher, als er dem Paar stellvertretend für Volk und Kirche den Segen gab.

Derzeit schreibt er an einer neuen Gedichtsammlung - mit der Hand. Über die Schmerzen, ganze Absätze herauszustreichen, sagt er: "Das ist der Moment, in dem man seine eigenen Kinder tötet. Da saust dir durch den Kopf: 'Oh ja, das ist clever! Das ist clever! Nein, ist es nicht - es ist Schafscheiße..." Der Dichter ohne den Primas kann also sogar mal ungehobelt sein, wenn er möchte.

 

Quelle:
KNA