domradio: Was halten Sie von der Absage der Ausstellung?
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm: Der Vorstand der christlich-jüdischen Gesellschaft hat sich vor einigen Wochen mit der Frage beschäftigt, ob die Ausstellung in Köln gezeigt werden soll. Das Büro des Oberbürgermeisters hatte uns auch nach unserer Meinung gefragt. Wir haben dazu eine differenzierte Ansicht geäußert. Wir haben erstens gesagt, die christlich-jüdische Gesellschaft würde sich als Ausstellungsmacher selbst nicht gerne beteiligen. Dafür ist die Ausstellung insgesamt zu kontrovers. Aber sie ist zweitens Ausdruck demokratischen Selbstverständnisses. Und das muss die Demokratie und das müssen die Kritiker der Ausstellung aushalten. Drittens haben wir dem Oberbürgermeister gesagt, dass es klug wäre, wenn die Ausstellung und insbesondere das Fotomaterial, welches einzig und allein das Fehlverhalten israelischer Soldaten zeigt, durch Material ergänzt werden könnte, das auch Provokationen durch die Hamas und die palästinensische Seite zeigt. Nur das würde ein faireres Bild darstellen. So in etwa haben wir beraten, beschlossen und diese Meinung auch an das Büro des Oberbürgermeisters gesandt.
domradio: Der Oberbürgermeister hat die Ausstellung jetzt komplett abgesagt. Was hat ihn wohl dazu veranlasst?
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm: Den Meldungen aus den Medien zufolge, weil der israelische Botschafter angerufen und ihn dringend darum gebeten hat. Ich kritisiere die Entscheidung des Oberbürgermeisters nicht. Aber er kann sich nicht so einseitig auf die Unterstützung der christlich-jüdischen Gesellschaft berufen, denn wir haben uns unsere Meinung recht differenziert mitgeteilt. Wenn er jetzt den Hauptgrund darin angibt, dass der israelische Botschafter angerufen und interveniert habe, halte ich das für keine ganz kluge Begründung, denn dort wird Politik gemacht und der Botschafter tut natürlich das, was ihm seine Regierung anweist. Das wäre schon in einer Demokratie - und in dieser leben wir in Deutschland und somit auch in Köln - ein etwas merkwürdiges Verfahren. Das ist nicht das, was uns auszeichnet. Wir wollen Antisemitismus, Einseitigkeiten und Provokationen verhindern. Wir wollen aber keinesfalls kritische inner-israelische oder gar internationale Debatten verhindern.
domradio: Zur Absage des Oberbürgermeisters reibt man sich auch verwundert die Augen und denkt sich: "Das hätte er sich vorher überlegen müssen."
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm: Fairerweise muss ich sagen, er hat es sich ja vorher überlegt. Ich bin jetzt quasi in der Rolle des Sprechers von Jürgen Roters, der ich nicht wirklich bin. Er hat sich vorher erkundigt und informiert. Aber offenbar hat er sich sehr stark vom Anruf des Botschafters beeinflussen lassen. Das sind meine Informationen, die ich jedoch auch nur aus den Medien habe. Diese Reaktion, so sage ich es mal aus meiner Warte, hätte ich nicht unbedingt so gezeigt.
domradio: Es gibt viel Kritik an der Absage. "Cap Anamur"-Gründer Rupert Neudeck hat sich beispielsweise geäußert und moniert, es fehle nun ein guter Diskussionsbeitrag. Die Absage sei eine Kapitulation.
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm: Die Wortwahl von Herrn Neudeck mache ich mir nicht zu Eigen. Wir hätten diesen Beitrag zur Debatte um Fehlverhalten israelischer Soldaten - so kritisch es auch in Israel selbst gesehen werden mag - in einer Demokratie für zumutbar, tolerabel und deshalb auch für ausstellbar gehalten, wenn eine gewisse Ergänzung durch andere Fotografien, Texte oder Diskussionsbeiträge gleichzeitig mit angeboten worden wäre. Damit wäre die doch sehr deutliche Einseitigkeit relativiert worden. Das muss eine Demokratie aushalten.
domradio: Wenn man also auch die andere Seite zu Wort komme ließe, dann könnten Sie sich die Ausstellung in Köln gut vorstellen?
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm: Ja, selbstverständlich. Es ist auch nach wie vor jedermann freigestellt - kirchlichen-, oder nichtkirchlichen Regierungsorganisationen - die Ausstellung zu übernehmen und in ihren Räumen zeigen. Es ist überhaupt die Frage, die mich von Beginn an gewundert hat, warum die Stadt Köln es als hochoffizielle und städtische Veranstaltung durchführen wollte. Ich komme aus der 68er-Generation. Da haben wir nie städtische oder staatliche Instanzen gefragt, wenn wir Kritik äußerten, sondern haben andere Foren gefunden. Diese gibt es in der Stadt Köln genug.
domradio: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Susanne Becker- Huberti