Am Donnerstag hat das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR seinen Jahresbericht "Global Trends" vorgestellt. 59,5 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht; das entspricht der Einwohnerzahl von Großbritannien. Die Flüchtlinge kommen vor allem aus Syrien, Afghanistan und Somalia. Über den Krieg in Syrien liest man manchmal noch etwas, über den in Afghanistan kaum noch, und Somalia - war da was?
Die Flüchtlinge kommen auch aus Nigeria und dem Irak, wo islamistische Terrormilizen wüten; aus dem Südsudan, Burundi oder dem Jemen, wo Bürgerkriege toben. Manche von ihnen kommen sogar aus Europa, aus der Ukraine. Die Konflikte dauern immer länger an, und wenn sie sich beruhigt haben, scheint es oft nur eine Frage der Zeit, bis sie erneut ausbrechen. Experten warnen zum Beispiel vor solch einer Entwicklung in Mazedonien - laut deutschem Asylrecht ein sicherer Herkunftsstaat.
Hinzu kommt: Wenn ihre Heimat tatsächlich immer unsicherer wird, kehren immer weniger Menschen dorthin zurück. Im vergangenen Jahr waren es 126 800 Flüchtlinge - so wenige wie zuletzt vor 31 Jahren. Besonders alarmiert zeigt sich das UNHCR über die Situation von Kindern: Die Hälfte (51 Prozent) aller Flüchtlinge sind jünger als 18 Jahre. 2009 lag ihr Anteil noch bei 41 Prozent. 34 400 Asylanträge von unbegleiteten Minderjährigen wurden in 82 Ländern der Welt verzeichnet, vor allem von afghanischen, eritreischen, syrischen und somalischen Kindern. Eine höhere Zahl gab es noch nie.
Ungleiche Verteilung von Flüchtlingen
Die Vereinten Nationen beklagen "riesige Defizite" bei der Finanzierung der Flüchtlingshilfe. Menschen würden im Stich gelassen, sagt UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres, dabei bräuchten sie Mitgefühl, Unterstützung und eine sichere Zukunft. Doch die Verteilung von Flüchtlingen bleibt global betrachtet weiterhin sehr ungleich. 86 Prozent der Betroffenen wurden in relativ armen Regionen aufgenommen, ein Viertel sogar in Ländern, die als am wenigsten entwickelt gelten.
Das größte Aufnahmeland war 2014 die Türkei, die 11 Prozent der weltweiten Flüchtlinge aufnahm. Gemessen an der Einwohnerzahl hat der Libanon die höchsten Aufnahmezahlen; dort kommen 232 Flüchtlinge auf 1.000 eigene Einwohner. Jordanien nimmt 87 Flüchtlinge pro 1.000 eigenen Einwohnern auf, der Inselstaat Nauru im Pazifischen Ozean 39. Von den EU-Ländern schafft es nur eines in diese Top 10 der Aufnahmeländer: In Schweden kommen 15 Flüchtlinge auf 1.000 Einwohner.
Drei Wege der Hilfe
Unterdessen ringen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union weiterhin um Verteilungsquoten, Asyl-Zuständigkeiten und Arbeitserlaubnisse. Am Dienstag räumte die italienische Polizei ein Flüchtlingscamp im italienischen Ventimiglia nahe der französischen Grenze. Frankreich verweigerte den Menschen die Einreise, Italien fühlte sich alleingelassen. 55 000 der 102 000 Bootsflüchtlinge, die laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) allein seit Jahresbeginn über das Mittelmeer gekommen sind, strandeten an der italienischen Küste.
Eine Herausforderung - nicht nur für Italien und die EU, sondern für die ganze Welt. Das verschweigt der UNHCR-Bericht nicht. "Die globalen humanitären Systeme wurden stark beansprucht", heißt es. Das Hilfswerk kündigte an, weiterhin drei Wege der Hilfe zu verfolgen: freiwillige Heimkehr, Resettlement-, also Umsiedlungsprogramme, und lokale Integration. Alle drei könnten den Flüchtlingen im Einzelfall eine dauerhafte Lösung für ihre Notlage bieten. Genau dieses Ziel bleibe bislang für zu viele Menschen in weiter Ferne.
UN-Flüchtlingskommissar Guterres spricht von einem Paradigmenwechsel. Das Ausmaß der globalen Flucht und Vertreibung stelle alles davor Gewesene in den Schatten, sagt er, und das müsse auch für die notwendigen Reaktionen gelten. Das klingt logisch: In Zeiten beispiellosen Leids braucht es beispiellose Hilfe.