Erstmals nationaler Gedenktag für Flucht und Vertreibung

Ein schwieriges Kapitel der Geschichte

Der Opfer der Kriege wird am Volkstrauertag gedacht. Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus findet am 27. Januar statt. Am Samstag gibt es erstmals einen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung.

1946: Vertriebene steigen in einen Güterzug (KNA)
1946: Vertriebene steigen in einen Güterzug / ( KNA )

70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es in Deutschland erstmals einen offiziellen nationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung. Die zentrale Veranstaltung fand am Samstag im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums in Berlin statt. Bundespräsident Joachim Gauck hielt die Gedenkansprache.

Kopplung an Weltflüchtlingstag

Der von der Bundesregierung 2014 beschlossene Gedenktag ist terminlich bewusst mit dem Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen gekoppelt. Künftig soll es jährlich am 20. Juni eine Gedenkstunde mit Reden und einer musikalischen Umrahmung geben.

Derzeit sind weltweit so viele Menschen wie wohl noch nie zuvor auf der Flucht: Laut UNO mussten 59,5 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen - und Schutz im Ausland oder als Vertriebene im eigenen Land suchen. Flucht und Vertreibung seien aber auch Teil der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert, so die Regierung in ihrer Begründung des neuen Gedenktags. «Millionen Menschen mussten im Zusammenhang des von Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkrieges ihre Heimat verlassen. Die Vertreibung der europäischen Juden fand ihr grauenvolles Ende in den Vernichtungslagern. Auch Millionen Deutsche mussten schließlich aufgrund von Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung und Deportation ihre angestammte Heimat verlassen», heißt es mit Blick auf geschätzte 14 Millionen Heimatvertriebene.

Kapitel deutscher Geschichte wach halten

Die Regierung will mit dem Gedenktag insbesondere in der jüngeren Generation dieses Kapitel deutscher Geschichte wach halten. Auch soll deutlich werden, «dass der Wille und die Kraft zu Versöhnung und Neuanfang» geholfen haben, Deutschland neu aufzubauen. Heute biete die Bundesrepublik Menschen aus 190 Nationen eine Heimat. Mit Blick auf Ostdeutschland erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen Jahr, erst seit dem Fall der Mauer 1989 hätten die Vertriebenen dort offen und öffentlich über ihre schrecklichen Erfahrungen sprechen können. «Leid und Unrecht verschweigen zu müssen oder gar missachtet zu sehen - das sorgt für Verbitterung. Geschichte anzunehmen, wie sie war und ist - das vermag den Weg zur Versöhnung zu ebnen.»

Um die Einführung des Gedenktags - der Bundestag beschloss ihn 2011 - hatte es eine heftige Debatte gegeben. Umstritten war nicht mehr, dass die Bundesrepublik auch der deutschen Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedenken könne, ohne damit die Nazi-Verbrechen zu relativieren und Geschichtsklitterung zu betreiben. Sprengstoff bot vor allem der ursprünglich von Union, FDP und den Vertriebenenverbänden angestrebte Termin: der 5. August, der Jahrestag der Verkündung der Charta der Heimatvertriebenen 1950.

Warnung vor Außenwirkung des Gedenktages

War die Charta aus Sicht der schwarz-gelben Bundesregierung ein «Gründungsdokument» der Bundesrepublik und ein Aufruf zur Versöhnung, so sprachen Kritiker von einer Verschleierung deutscher Schuld. Dass die Heimatvertriebenen auf «Rache und Vergeltung» verzichtet hatten, habe ihnen gar nicht zugestanden, da sie ohnehin keinen Anspruch auf Rache hätten, so die Opposition. Mit dem Satz «im Gedenken an das unendliche Leid, welches im Besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat» sei deutsche Schuld und Verantwortung verschleiert worden. Dementsprechend warnten auch der Zentralrat der Juden und ein internationaler Aufruf von Historikern und Wissenschaftlern vor einer «katastrophalen Außenwirkung» eines Gedenktags, der sich an die Vertriebenencharta anlehnte.

Durch den Verzicht auf den 5. August wurde schließlich ein Kompromiss möglich. Die Verbindung mit dem Weltflüchtlingstag ermöglicht nationalen Rückblick und ordnet das Geschehen am Ende des Zweiten Weltkriegs zugleich in weltweite aktuelle Zusammenhänge ein.

Eigene Gedenktage der Bundesländer

Der 20. Juni stand allerdings auch wegen der Konkurrenz zu den Gedenktagen einzelner Bundesländer in der Kritik. Bayern, Hessen und Sachsen haben auf Landesebene bereits einen eigenen Gedenktag für die deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung beschlossen, der seit vergangenem Jahr jeweils am zweiten Sonntag im September begangen wird. Ob diese Doppelung sinnvoll ist und sich halten kann, ist offen.


Bundespräsident Gauck während einer Rede (dpa)
Bundespräsident Gauck während einer Rede / ( dpa )
Quelle:
KNA