Niko will nicht viel verraten. Schließlich hat sich der 20-Jährige dazu verpflichtet, über den Jugendlichen Stillschweigen zu bewahren, der sich ihm anvertraut hat. Aber so viel gibt er preis: Es geht um viel Stress in der Ausbildung, Probleme mit den Kollegen - und vor allem quälende Suizidgedanken. Per Mail schildert ihm der Azubi seine große Not. Und Niko versucht zu verstehen und richtige Antworten zu geben.
Caritas unterstützt Suizid-Prävention
Als Ehrenamtlicher macht Niko in Gelsenkirchen beim Caritas-Projekt U25 mit. Wie 33 andere junge Menschen dort hat er sich als Peerberater ausbilden lassen, um sich als Ansprechpartner anzubieten für Gleichaltrige, die unter Suizidgedanken leiden. Außer im Ruhrgebiet gibt es in Freiburg, Berlin, Hamburg und Dresden solche Online-Suizidpräventionsgruppen, die sogenannte Help-Mails schreiben.
Nikos Klient hat Glück gehabt. Er kam mit seinem Hilferuf durch. Denn häufig steht kein Berater zur Verfügung, was eine rote Ampel auf der Internet-Seite von U25 anzeigt. Selbst Gelb, das zur Anmeldung auf einer Warteliste ermuntert, leuchtet inzwischen nur noch selten. Und wenn tatsächlich mal Grün für einen freien Ansprechpartner blinkt, melden sich über Nacht gleich zwei Dutzend Hilfesuchende, wie die Gelsenkirchener Projektleiterin Vivien Lowin berichtet.
Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem, weshalb die Gründung von zwei zusätzlich geplanten U25-Gruppen im westfälischen Paderborn und schwäbischen Biberach sehnlichst erwartet wird. Bei fehlenden Beratern verweist die Internetseite auf andere Hilfsangebote wie die allgemeine Telefonseelsorge oder das Kinder- und Jugendtelefon. Doch in ihrer Not sprechen betroffene Jugendliche bevorzugt Gleichaltrige an. Wenn die Freundin Schluss gemacht hat, Mitschüler mobben oder man sitzen bleibt - "vieles haben wir schon mal selbst erlebt und können dafür besser als Erwachsene Verständnis aufbringen", erklärt Niko.
Gruppen in sozialen Netzwerken können helfen
Auch das Internet als bevorzugtes Medium der jungen Generation spielt eine Rolle. Alle zwei Wochen kommt Niko mit seiner Gruppe zusammen, um sich über die aktuellen Notfälle auszutauschen. Wie damit umgehen? Welche Antworten geben? Solche Fragen behandelt schon die sechsmonatige Ausbildung zum Peerberater, die sieben Abende und drei Wochenenden umfasst. Da geht es um Grundwissen über Suizid, um Gefahrensignale wie Abkapselung, maßlose Essgewohnheiten oder anhaltende Depressionen. Und um große Gefahren, etwa wenn von einem Menschen Abschiedsäußerungen kommen.
Zuhören wichtig
10.000 Menschen sterben Jahr für Jahr durch einen Suizid - darunter 600 unter 25 Jahren. Diesen Zahlen wollen Niko und die anderen U25-Mitstreiter etwas entgegensetzen, indem sie zunächst eines tun: Den Satz "Ich will mir das Leben nehmen" aushalten. Die Berater kommen dann auch gar nicht mit klugen Ratschlägen. "Ich höre erst mal zu", berichtet Niko. Keinen Druck machen, kein "Du musst" oder "Du sollst". So ließ er auch seinen Azubi "in den ersten Mails alle Probleme runtererzählen".
Ansonsten lassen sich die Jugendlichen in ihren Antworten von der Überlegung leiten, was sie selbst in der Notsituation tun würden. Und fragen vorsichtig an: Fühlst du dich stark genug, einmal mit deinen Eltern zu reden? Hast Du schon mal darüber nachgedacht, in eine Therapie zu gehen? Damit in den Help-Mails nichts schief läuft, checkt Projektleiterin Vivien alle Antworten vor dem Absenden. Nur selten sieht sie Grund zur Korrektur. "Da fühlen wir uns nicht auf den Schlips getreten", findet Lea. "Das bedeutet für uns auch Sicherheit."
Mitunter bricht der Kontakt kommentarlos ab. Braucht der Klient keine Hilfe mehr? Oder hat er sich umgebracht? Bislang meldeten sich dreimal Verwandte und überbrachten schlechte Nachrichten. In einem solchen Fall versammelt sich die Gruppe um ihren "Baum des Lebens", um gemeinsam zu trauern. An dem kleinen Modell symbolisieren nun drei grüne Vögel die nicht Geretteten. Ein Dutzend roter Herzen dominieren aber. Sie stehen für Mails, in denen sich Jugendliche für die nicht mehr nötige Hilfe bedanken.