Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige (63) ist in Halle an der Saale geboren. Er besuchte das Erfurter "Philosophisch-Theologische Studium", die einzige akademische Ausbildungsstätte für Priester in der DDR.
KNA: Bischof Feige, wie haben Sie die Wiedervereinigung am 3. Oktober vor 25 Jahren erlebt? Was haben Sie gemacht?
Feige: Leider kann ich mich inzwischen nicht mehr im Detail daran erinnern, weiß aber noch, dass es ein sehr ruhiger Tag war. Ich wohnte damals in Erfurt, alle anderen im Haus waren unterwegs. Als im Fernsehen das Deutschlandlied gesungen wurde, hat mich das sehr bewegt: Zu DDR-Zeiten haben wir es im kleinen Kreis manchmal heimlich gesungen, hätten aber nie gedacht, das mal öffentlich tun zu können.
KNA: Wie beurteilen Sie die deutsche Einheit heute, 25 Jahre danach?
Feige: Ich bin dankbar, dass es so gekommen ist und wünsche mich nicht in frühere Zeiten zurück. Allerdings muss ich sagen, dass die damit verbundenen Herausforderungen nach wie vor enorm sind. "Die Freiheit ist eben" - wie es schon bald hieß - "grauer als der Traum von ihr."
KNA: Inwiefern?
Feige: Nach der deutschen Einigung hatten wir zum Beispiel die Vorstellung, dass Katholisch-Sein nun leichter wird. Stattdessen sind Zivilcourage und Mut zum Bekenntnis mindestens genauso nötig. Da ich in einem totalitären System aufgewachsen bin, bedrückt mich zudem der Eindruck, dass manche heutzutage auch den christlichen Glauben wie eine Ideologie verstehen, das heißt ziemlich eng und rigoros, ausschließend und unbarmherzig.
KNA: Was hat die Einheit für die Kirche bedeutet?
Feige: Auch vor dem Mauerfall 1989 haben wir uns als katholische Kirche im Osten immer mit der Kirche im Westen und auch der Weltkirche verbunden gesehen. Wir sind dankbar für alle Unterstützung zu DDR-Zeiten und besonders natürlich für alle Solidarität danach. Ohne sie hätten wir uns in der neuen Welt sicher nicht so schnell zurecht gefunden, denn schlagartig veränderte sich ja fast alles.
KNA: Zum Beispiel?
Feige: Nun, plötzlich konnten katholische Schulen gegründet werden, was ja vorher nicht möglich gewesen war. Ohne die Hilfe verschiedener Ordensschwestern und anderer Experten aus dem Westen wäre das wohl kaum so gut gelungen.
KNA: Was können die ostdeutschen Katholiken von den westdeutschen Katholiken lernen - und umgekehrt?
Feige: Für Katholiken im Westen wäre es sicher anregend wahrzunehmen, mit wie wenig Mitteln Kirche im Osten auskommen muss und dennoch lebendig sein kann. Und für ostdeutsche Katholiken ist bestimmt hilfreich mitzubekommen, wie man auch in einer pluralistischen Gesellschaft überzeugend Kirche sein kann. In der DDR haben wir ja weithin in Distanz zur Gesellschaft gelebt. Leider scheint das Interesse des Westens am Osten aber nach wie vor nicht ebenso stark zu sein wie umgekehrt. Es ist auch nicht einfach zu erfassen, was es bedeutet, in einer Gesellschaft Christ zu sein, in der sich 80 Prozent schon lange von den Kirchen distanziert haben.
KNA: Sie haben zu DDR-Zeiten in Erfurt katholische Theologie studiert - an der einzigen Hochschule, wo dies damals möglich war. Bald danach wurden Sie zum Priester geweiht. Wie haben Sie das damals empfunden?
Feige: Der Wunsch, Priester werden zu wollen, kam bei mir schon sehr früh auf, als Schüler der achten oder neunten Klasse. Das hing auch damit zusammen, dass wir in der DDR ständig angehalten wurden, uns über die Zukunft Gedanken zu machen. Nach dem Abitur 1970 habe ich in Erfurt angefangen, Theologie zu studieren. Das war durchaus riskant, denn wer das Studium abbrach, hatte Probleme, in der Gesellschaft anderweitig Fuß zu fassen. Als Priester war ich zwar ein Exot, hatte aber auch gewisse Narrenfreiheit.
KNA: Inwiefern?
Feige: Wir konnten es uns zum Beispiel leisten, während einer Predigt zwischen den Zeilen zu sprechen und so auch Kritisches zu sagen. Laien hatten es da viel schwieriger. Insgesamt war Christsein in der DDR mit gewissen, auch intellektuellen Ansprüchen verbunden. Anders hätten wir uns auch gar nicht behaupten können. In unserer Pfarrei gab es damals einen Vikar, der uns Jugendliche dementsprechend auch herausgefordert hat. So haben wir etwa auch Marx oder Brecht gelesen, damit wir den Vorurteilen uns gegenüber etwas entgegensetzen konnten. In der Schule machte man sich ja über uns lustig.
KNA: Durch die Teilung Deutschlands wurde auch der Ostteil des Erzbistums Paderborn, der heute das Bistums Magdeburg bildet, abgetrennt. Wie war die Beziehung zwischen Magdeburg und Paderborn während dieser Zeit?
Feige: Bis zum Mauerbau kamen viele neu geweihte Priester aus dem Erzbistum Paderborn zu uns in den Osten und haben hier hervorragend gewirkt. Danach mussten die meisten von ihnen im Osten bleiben und waren von ihren Angehörigen getrennt. Natürlich wurde auch dann zwischen Paderborn und Magdeburg versucht, in Kontakt zu bleiben. So gab es bis 1989 auch regelmäßige Treffen von Paderborner und Magdeburger Priesteramtskandidaten in Ost-Berlin. Dabei wurden wir angehalten, uns einen Partnertheologen zu suchen, mit dem wir in Verbindung bleiben sollten. Erfreulicherweise hat für mich diese damals begonnene Freundschaft immer noch Bestand, obwohl mein damaliger Kontakttheologe, Martin Klöckener, schon seit längerem Professor in der Schweiz ist.
KNA: Wurde diese enge Verbindung zur Kirche im Westen auch anderweitig genutzt - für illegale Transporte etwa?
Feige: Ich weiß, dass Informationen, Literatur und Geld oftmals auch über den Diplomatenverkehr zwischen West- und Ost-Berlin zu uns gelangt sind. Außerdem wurden zum Beispiel alle zur Seelsorge benötigten Kraftfahrzeuge offiziell vom Bonifatiuswerk und anderen mit Westgeld bezahlt. Sonst hätten wir bei normaler Bestellung bis über zehn Jahre hinaus auf einen Trabant, Wartburg oder Barkas warten müssen.
KNA: 1994 wurde das Bistum Magdeburg eigenständig - obwohl nach Mauerfall und Einheit auch hier eine Wiedervereinigung mit Paderborn leicht möglich gewesen wäre. Inwieweit ist die Beziehung zwischen Paderborn und Magdeburg heute noch besonders?
Feige: Das war damals keine Entscheidung gegen Paderborn, sondern für Magdeburg. Zum einen sind wir sehr weit voneinander entfernt, und zum anderen sind die Verhältnisse doch sehr unterschiedlich. Zudem würden wir von der lokalen Politik auch nicht so beachtet werden, wenn wir nach wie vor Teil des Erzbistums Paderborn und ohne einen Bischof vor Ort wären. Erfreulicherweise wurde aber sofort zwischen uns ein Partnerschaftsvertrag geschlossen, auf dessen Grundlage wir weiterhin lebendige Beziehungen pflegen. Wir sind im Osten nicht der Nabel der katholischen Welt, aber auch nicht der Appendix - das Anhängsel - der katholischen Kirche in Deutschland.
Das Interview führte Nina Schmedding