domradio.de: Bis zu 10.000 Pegida-Demonstranten sollen gestern in Dresden dabei gewesen sein. Hat Sie diese Zahl erschreckt?
Christian Kurzke: Nein, das hat mich nicht erschreckt, weil wir die Bewegung schon länger beobachten und unsere Prognose bereits im Frühjahr so war, dass diese Gruppe nicht einschlafen, still stehen oder gar verschwinden würde. Nach der Sommerpause, den warmen Monaten und parallel verbunden mit den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen haben die Menschen jetzt wieder mehr Zeit, in Dresden und anderswo zu demonstrieren. Wir haben alleine am vergangenen Wochenende mehrere Demonstrationen in Sachsen mit jeweils über 1.000 Teilnehmern gehabt. Da sind doch sehr viele Menschen bereit, sich Zeit zu nehmen, auf die Straße zu gehen und für ihre Position einzutreten.
domradio.de: Gegen Pegida-Anführer Lutz Bachmann hat jetzt auch die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. So jemand müsste doch eher abschrecken, als so viele Menschen zu mobilisieren. Wie erklären Sie sich das?
Christian Kurzke: Da sind zwei Aspekte zu betrachten. Zum einen ist die abschreckende Wirkung, die wir Herrn Bachmann zuordnen, seit längerem bekannt. Es gibt seit vielen Monaten verschiedene Berichte dazu und über ihn. Das hat auch im letzten Winter nicht dazu geführt, dass es einen Teilnehmerrückgang bei den Demonstrationen oder bei den Menschen, die eine ähnliche Position vertreten haben, gab. Es ist keine neue Entwicklung. Außer vielleicht, dass Formulierungen gefunden wurden, die nun dazu geführt haben, dass Anzeigen gestellt werden konnten und ermittelt werden kann. Zum anderen finden sich dort Menschen, die sich zusammenschließen können und die in Herrn Bachmann jemanden haben, der sich voranstellt. Er spürt den Gegenwind, der aus der Gesellschaft und der Politik kommt. Trotzdem ergreift er Position und es ist offenbar sehr angenehm, so jemandem folgen zu können. Er hält durch. Viele, die Pegida folgen, sind der Auffassung, dass unser gesellschaftliches Konstrukt und die Medien lügen. Es tun sich die Menschen hinter Herrn Bachmann zusammen, die sagen, dass alles anders sei und man selber Recht habe.
domradio.de: Es ist auch der Mittelstand, der Pegida folgt, oder?
Christian Kurzke: Genau. Zahlreiche Untersuchungen, auch bereits vor Pegida, haben gezeigt, welche Werteinstellungen wir in der deutschen Gesellschaft durch welche Bevölkerungsgruppierungen haben. Das zeigt, es zieht sich quer durch alle Bevölkerungsschichten. Je nach Ort und Zeit hat es die Form von gesellschaftlichen Events. Am Wochenende hatten wir Situationen, in den ganze Familien losgezogen sind und Pegida- oder Anti-Asyl-Demonstrationen zum Familienpicknick wurden. Gleichwohl muss aber auch gesagt werden, dass Pegida ganz klar einen Schulterschluss hin zu "NPD", "AfD", "Die Rechte" oder der "Dritte Weg", also den neuen rechten Parteien, führt. Das lässt sich ganz gut daran festmachen, welche Menschen sich wo engagieren. Bestimmte Köpfe tauchen überall auf, übernehmen die Veranstaltungsanmeldung oder die Organisation bis hin zur Ordnertätigkeit. Hier gelingt es quasi, eine Lücke zwischen organisierten Strukturen und der gemeinen Bevölkerung zu schließen, die sich in den Formulierungen und Ressentiments, die durch Pegida weitergetragen werden, wiederfindet.
domradio.de: Jetzt sagen die "Grünen" zum Beispiel, dass man mit den Pegida-Anhängern in Dresden nicht reden könne, denn wer fremdenfeindliche Parolen brülle, der sei kein Gesprächspartner. Was machen Sie denn? Was tut die "AG Kirche für Demokratie gegen Rechtsextremismus" gegen Pegida?
Christian Kurzke: Es ist für uns ja kein neues Thema. Es hat zum einen durch Pegida und zum anderen durch die Fluchtbewegung und die daraus resultierenden Reaktionen in der Bevölkerung und in der Politik noch einmal ganz deutlichen Handlungsdruck bei uns geschaffen. Es ist nach wie vor dringend nötig, aufzuklären und aus der Kirche heraus zu verdeutlichen, dass wir hier eine christliche Pflicht haben. Wir müssen handeln und helfen. Die Flüchtlinge sind Menschen, die ihre Heimat verlassen und alles, was sie hatten, hinter sich gelassen haben. Mir als Christ fiele es sehr schwer, zu unterscheiden, welchen Menschen ich helfen sollte und welchen nicht. Dieser Gedanke ist mir sehr fremd. Wir drängen sehr darauf und machen es auch in Veranstaltungen und Gesprächskreisen deutlich, dass es Sinn macht, mutig voran zu gehen, mit zu handeln, Ehrenämter zu übernehmen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Wir möchten diejenigen, die zu uns kommen, unterstützen. Es ist weniger sinnvoll, Ressentiments zu bedienen und auf ähnlichen Sprachkanälen zu kommunizieren.
Das Interview führte Heike Sicconi