Yaoudam Helenne besucht das Gymnasium. Wenn alles glatt geht, macht sie im nächsten Jahr Abitur - als erstes Mädchen der Mafa-Volksgruppe im Norden Kameruns. Danach möchte sie Jura studieren. Was in Deutschland wie ein normaler Werdegang aussieht, ist in den entlegenen Dörfern des Mandara-Gebirges in dem westafrikanischen Land eine absolute Ausnahme.
Die Mafa sind eine streng patriarchalisch geprägte Volksgruppe von etwa 500.000 Menschen. Mädchen dürfen nur selten zur Schule gehen. Der gleichberechtigte Zugang zu Bildung ist auch anderswo in der Welt noch lange nicht erreicht und immer wieder Thema des Weltmädchentags, der am 11. Oktober begangen wird.
"Frauen sind Eigentum"
"Die Mafa-Frauen haben praktisch keine Rechte. Sie sind entweder das Eigentum ihres Mannes oder ihres Vaters", erklärt Godula Kosack. Die Marburger Ethnologin erforscht seit 1981 die Kultur der Volksgruppe. Als Vorstandsmitglied der Frauenrechtsorganisation "Terre des Femmes" setzt sie sich für Gleichberechtigung ein.
In der Regel würden Mafa-Mädchen - trotz staatlichem Verbot - schon mit 15 Jahren verheiratet, sagt Kosack. Damit gingen sie praktisch in den "Besitz" ihres Mannes über. Zuvor seien nur wenige Väter bereit, ihren Töchtern den Schulbesuch zu finanzieren. "Für die Familien lohnt es sich nicht, in die Bildung der Mädchen zu investieren. Jungen sind ihnen wichtiger."
Scharfe Diskriminierung in vielen Teilen der Erde
Von schlechteren Bildungschancen von Mädchen in vielen Weltregionen berichtet auch das Kinderhilfswerk Unicef. Besonders massiv ist die Diskriminierung in den ärmeren Ländern in Afrika südlich der Sahara, im Nahen Osten sowie in Süd- und Westasien, wo etwa 80 Prozent der Kinder, die nicht zur Schule gehen, Mädchen sind.
Es gibt aber auch Ausnahmen: Laut Unicef gibt es in bestimmten Regionen Lateinamerikas mehr Schülerinnen als Schüler, offenbar weil Jungen häufiger arbeiten müssen.Die Gründe für den ungleichen Zugang zu Bildung können weltweit sehr verschieden sein: Patriarchalische Gesellschaftsstrukturen, Kinderheirat, Kinderarbeit, gefährliche Schulwege oder sanitäre Anlagen, die nicht nach Geschlechtern getrennt sind.
Stipendien für Begabte
Damit die Mädchen der drei Bergdörfer M'Lay, Houva und Ldama in Nordkamerun zur Schule gehen können, vergibt der Verein AFFMHL Stipendien an besonders bedürftige und leistungsstarke Schülerinnen. Eine Gruppe von Mafa-Frauen hat den Verein 2012 gegründet. Ihr Ziel: mehr Bildung und Selbstbestimmung für ihre Töchter.
Mit Unterstützung von "Terre des Femmes" fördert AFFMHL aktuell 45 Stipendiatinnen - darunter auch Yaoudam Helenne aus Houva. Kosack schätzt das Alter des Mädchens auf etwa 18 Jahre, genau weiß sie das nicht - bei den Mafa werden Geburten nicht registriert. Klar ist jedoch, dass Yaoudam ohne das Stipendium nicht hätte zur Schule gehen können.
Teurer Schulbesuch
Obwohl der Schulbesuch kostenlos sein sollte, müssen Eltern oft hohe Gebühren zahlen, wie Kosack erläutert. So koste jedes Kind am Gymnasium die Familien bis zu umgerechnet 120 Euro im Jahr. Zum Vergleich: Eine Ziege für die Kleinviehhaltung koste nur rund drei Euro. Deshalb werde oft an den Mädchen gespart. So ist laut Kosack nur etwa ein Drittel der 538 Kinder an der einzigen für die Mafa zugänglichen Grundschule weiblichen Geschlechts. Wieviele Mafa-Mädchen zu Hause bleiben müssen, hat niemand gezählt.
Weltweit erhielt 2013 laut Unicef knapp ein Fünftel aller 650 Millionen Schulkinder keinen Unterricht. Über die Hälfte davon waren Mädchen. Obwohl der weltweite Unterschied zwischen den Geschlechtern somit eher gering ausfällt, werden Mädchen doch in vielen Gebieten wie bei den Mafa weiter stark benachteiligt.
Petroleumlampen für das Lernen am Abend
Unterdessen preschen die Aktivisten im Norden Kameruns vor. Der Verein AFFMHL droht Eltern mit Strafanzeigen, falls sie ihre Töchter wegen einer Heirat vorzeitig von der Schule nehmen wollen. Zudem versorgt der Verein die Schülerinnen mit Petroleumlampen, damit die Mädchen auch abends nach der Hausarbeit lernen können.
Nach der Grundschule müssen die Kinder den kilometerweiten Weg zu den weiterführenden Schulen am Fuße des Mandara-Gebirges auf sich nehmen. Yaoudam ist da keine Ausnahme. "Yaoudam ist sehr motiviert und dankbar für ihr Stipendium", erzählt Kosack. Schließlich sei dies ihr Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben. "Die Zukunft der Mädchen ist die Bildung", betont die Ethnologin.