domradio.de: Was sind die größten Unterschiede zwischen Pegida heute und Pegida vor einem Jahr?
Prof. Dr. Hans Vorländer (Politikwissenschaftler an der TU Dresden): Die Unterschiede sind gar nicht so groß. Heute hat Pegida natürlich das Flüchtlingsthema und das ist das beherrschende Thema. Vor einem Jahr und dann im Januar, als Pegida 25.000 Teilnehmer versammeln konnte, war der Protest noch etwas diffuser. Gleichwohl gab es damals schon 30 Prozent, die Fremdenfeindlichkeit erkennen ließen. Aber ansonsten war der Protest sehr stark gegen DIE Politik und DIE Medien gerichtet. Das ist heute auch noch so, aber das Flüchtlingsthema ist - wie gesagt - das beherrschende.
domradio.de: Im Frühsommer sah es zeitweise so aus, als würde Pegida in der Bedeutungslosigkeit versinken. Jetzt ist der Zulauf wieder so stark gewachsen. Liegt das allein an der Flüchtlingskrise?
Vorländer: Ja, die Flüchtlingskrise hat Pegida in der Tat das Weiterleben eingehaucht. Im Sommer sah es bei ein- bis zweitausend Demonstrierenden so aus, als hätte sich Pegida langsam die Schuhsohlen plattgelaufen. Jetzt sieht es ja wieder ganz anders aus. Allein gestern Abend waren es 15.000. Ob das nun bedeutet, dass Pegida weiterhin so groß bleibt, ist ganz schwer vorherzusagen. Es hängt in der Tat von der weiteren Entwicklung der Flüchtlingsthematik ab.
domradio.de: Letzte Woche wurden Galgen mit den Namen von Merkel und Gabriel in die Höhe gereckt. Regelmäßig werden mittlerweile Journalisten angegangen, sogar verletzt. Wie erklären Sie diesen Hass?
Vorländer: Pegida hat sich in der Rhetorik und mit dem Zeigen von entsprechenden Bildern deutlich radikalisiert. Es laufen ja auch ganz unterschiedliche Gruppierungen dort mit. Es gibt Bürger, die aus Sorge über allgemeine Entwicklungen dorthin gehen. Und es gibt natürlich auch radikale Gruppierungen, die dem neonazistischen Milieu zuzurechnen sind. Die neigen ohnehin zu Gewalt und Radikalität. Und in einer zugespitzten Situation, wie wir sie gerade haben, fühlen sie sich anscheinend berechtigt, alle Hemmungen fallenzulassen und auf Journalisten und Gegendemonstranten loszugehen. Dazu muss man sagen, dass gestern auch die Gegendemonstranten, vor allem Linksautonome, provoziert haben.
domradio.de: Einer der Pegida-Köpfe, Lutz Bachmann, ist vorbestraft und sympathisierte auf Facebook mit der NPD und ist wegen Volksverhetzung angeklagt. Wenn er Flüchtlinge als "Viehzeug" oder "Dreckspack" bezeichnet, jubeln die Massen. Wie kommt es, dass so einer so viele Anhänger auch aus dem bürgerlichen Lager findet?
Vorländer: Da muss man differenzieren. Die Begriffe "Viehzeug" und "Dreckspack" sind vor über einem Jahr, vor Pegida, auf Facebook aufgetaucht. Das führte später dazu, dass Bachmann als Pegida-Vorsitzender zurücktreten musste. Jetzt ist er wiedergekommen. Er hat jetzt andere Redner, die fürcherliche Sachen von sich geben. Das ist schwer erträglich und in der Tat müssten sich die, die an den Demonstrationen teilnehmen, davon distanzieren - und Bachmann selbst auch. Gestern wurden ganz unerträgliche Dinge gesagt. Die Bürger, die gestern Abend da waren, verließen zum Teil den Kundgebungsplatz. Aber ich wage zu bezweifeln, ob das als Distanzierung zu sehen ist. Die Veranstaltung lief einfach sehr lange. Vielen scheint egal zu sein, was vorne auf der Bühne gesagt wird. Das macht die Sache aber nicht besser.
domradio.de: Wie erklären Sie sich, dass sich die Bewegung ausgerechnet in Dresden hält?
Vorländer: Das hängt zum Teil sicherlich mit Sachsen zusammen. In den ländlichen Regionen um Dresden herum haben sich große demografische Veränderungen ergeben. In den letzten 25 Jahren haben Menschen ihr Leben grundlegend ändern müssen. Das schafft generell Verunsicherung. Und das ist ein Nährboden, auf dem Rassisten und Fremdenfeinde versuchen, Gewinn zu ziehen un die Früchte zu ernten. Was wirklich bemerkenswert ist, ist, dass sich die Leute so lange Zeit und jetzt wieder verstärkt mobilisieren lassen und ihre Unzufriedenheite aber auch ihre Fremdenfeindlichkeit so offensichtlich und in harschen Reden zum Ausdruck bringen. Das ist ein Spezifikum in Dresden.
domradio.de: Wie sollten Gesellschaft und Politik mit Pegida umgehen?
Vorländer: Die Gesellschaft versucht ja dagegenzuhalten. In Dresden waren genauso viele Gegendemonstranten wie Pegida-Demonstranten unterwegs. Es geht nur so, dass die Stadtgesellschaft sich selbst mobilisiert und sehr deutlich macht, dass sie Dresden nicht Pegida überlassen will. Dieser Prozess hat im Januar schon stattgefunden, dann ist er ein bisschen eingeschlafen. Gestern gab es hoffnungsvolle Zeichen, dass sich die Gegner von Pegida mobilisieren lassen. Die Politik muss wie wir Bürger auf die Grenzen bestehen. Harte Kritik und Demonstrationsfreiheit ja, aber keine Aufforderung zur Gewalt und vor allem keine rassistischen und fremdenfeindlichen Äußerungen. Das geht nicht. Auf diese Grenzen muss bestanden werden.
Das Interview führte Hilde Regeniter.