Tagebücher des Münchner Kardinals Michael Faulhaber gehen online

"Als ob man mir mit einem Prügel auf den Kopf geschlagen hätte"

Es ist ein historisches Mammutprojekt: In den nächsten 12 Jahren werden die Tagebücher des Münchner Kardinals Faulhaber ins Netz gestellt. Erste Auszüge zeigen einen starken Mann in Todesangst.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Tagebuch Kardinal von Faulhaber online / © Harald Oppitz (KNA)
Tagebuch Kardinal von Faulhaber online / © Harald Oppitz ( KNA )

Selbstdisziplin hatte der Mann, das muss man ihm lassen: Mehr als 40 Jahre lang führte der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber (1869 - 1952), einer der bedeutendsten katholischen Bischöfe des 20. Jahrhunderts, akkurat Tagebuch. Er hielt fest, wer ihn bei Audienzen nervte, was ihm Kopfschmerzen bereitete oder auch Angst einflößte. Eine einzigartiges "Ego-Dokument", sagen Historiker. Doch dafür müsste man die 4.000 Seiten erst einmal lesen können. Lange ruhte der Schatz in einem Versteck. Faulhabers einstiger Sekretär Prälat Johannes Waxenberger hielt ihn daheim unter Verschluss und gewährte nur auserwählten Forschern wenige Einblicke.

Aufzeichnungen in schwer entschlüsselbarer Kurzschrift

Seit 2010 nun befindet sich das Material dort, wo es hingehört, nämlich im Erzbischöflichen Archiv in München. Aber es ist in einer Art Geheimschrift verfasst, auf die sich heute kaum noch einer versteht. Faulhaber verwendete für seine privaten Notizen die Kurzschrift Gabelsberger, die um 1900 im deutschen Sprachraum allgemein gebräuchlich war, aber schon Mitte der 1920er Jahre außer Mode kam.

In einem auf zwölf Jahre angelegten Mammutprojekt wollen Forscher aus München und Münster die Aufzeichnungen nun einer interessierten Öffentlichkeit vollständig zugänglich machen. Dafür wurden eine Handvoll Nachwuchswissenschaftler eigens in die Geheimnisse der Gabelsberger-Stenografie eingewiesen. Ein mühsames Unterfangen, aber in drei bis vier Monaten erlernbar, berichtet Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte.

Erste Auszüge freigeschaltet

Wirsching und sein Münsteraner Kollege, der Kirchenhistoriker Hubert Wolf, leiten das Projekt, aber beide können Faulhabers "Hieroglyphen" nicht entziffern. Damit bei der Übertragung keine Fehler passieren, gilt ein verschärftes Sechsaugenprinzip. Seit Mittwochabend sind auf der Internetseite www.faulhaber-edition.de die ersten Auszüge freigeschaltet.

1918, der Erste Weltkrieg geht zu Ende. Faulhaber, seit jungen Jahren fasziniert vom Militärischen, hat den Krieg - wie viele andere Geistliche auch - in Predigten theologisch gerechtfertigt. Am 8. November, drei Tage vor dem Waffenstillstand, packt ihn selbst die Todesangst. "Als ob man mir mit einem Prügel auf den Kopf geschlagen hätte", beschreibt er seine Gemütslage. Das Herzklopfen höre nicht auf, er sei "entschlossen zum Sterben". Am nächsten Tag tritt der deutsche Kaiser Wilhelm II. zurück. Für Faulhaber bricht eine Welt zusammen, er wird von Weinkrämpfen geschüttelt.

Ungefilterte Emotionalität

Der Kirchenfürst war kein Freund der roten Umstürzler, das wussten Historiker schon. Doch dass er in den Revolutionswirren monatelang ernsthaft um sein Leben fürchtete, ist neu. Die drastische Schilderung dieser Bedrohung habe ihn überrascht, sagt Wirsching. Für Hubert Wolf ist es gerade diese ungefilterte Emotionalität, die das Tagebuch so spannend macht. Auch im Vergleich zu dem, was Faulhaber davon später in den Entwürfen zu seiner Autobiografie weglassen wird.

Wie er sich zum Beispiel im Wendejahr 1919 schon in der Rolle des Märtyrers gesehen hat, soll die Öffentlichkeit lieber nicht erfahren.

Dass die Biografie von Faulhaber völlig neu geschrieben werden müsse, glauben die beiden Projektleiter nicht. Der Kardinal werde in seiner Einstellung zum Krieg, zu den Juden, zu Hitler auch nach dem Studium seiner Tagebücher als ambivalente Gestalt erscheinen und Anlass zum Streit unter Historikern bieten, ist sich Wirsching sicher. Doch wie sich Faulhabers Einstellungen zu manchen Dingen im Laufe seines Lebens gewandelt haben, werde sich nun besser nachvollziehen lassen.

Auch einige neue Forschungsthemen haben sich bereits aufgetan, etwa Faulhabers auch durch die NS-Zeit nicht unterbrochene Verbindungen in die USA. Die frisch ausgebildeten Münchner Kurzschrift-Experten können zudem auf Folgeaufträge hoffen. Schon mehrere Archive hätten Interesse bekundet, erzählt Wolf. Auch von den Schriftstellern Franz Kafka und Erich Kästner gibt es noch Gabelsberger-Aufzeichnungen, die auf ihre Entschlüsselung warten.


Quelle:
KNA