Evangelische Christen feiern Reformationstag

"Europa braucht Menschen, die neue Wege zeigen"

Evangelische Christen haben am Samstag den Reformationstag gefeiert. Mit zahlreichen Gottesdiensten erinnerten sie an den Ursprung ihrer Kirche: Den Thesenanschlag Luthers im Jahr 1517. Im Mittelpunkt der Predigten stand die Flüchtlingskrise.

Reformationsfest in der Lutherstadt Wittenberg / © Peter Endig (dpa)
Reformationsfest in der Lutherstadt Wittenberg / © Peter Endig ( dpa )

Am Reformationstag hat die evangelische Kirche dazu aufgerufen, den Zuzug von Flüchtlingen als Chance zur gesellschaftlichen Erneuerung zu begreifen. Europa brauche "Menschen, die neue Wege zeigen", sagte die Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, in der Thomaskirche im französischen Straßburg. Trotz aller Herausforderungen sollten die Flüchtlinge nicht als Bedrängnis empfunden werden. Sie könnten "durch eine lebensfrohe Kultur" bereichern, "weil wir manchmal allzu eng geworden sind".

Käßmann predigte am Samstag im Gottesdienst zur Eröffnung des Themenjahrs "Reformation und die Eine Welt" im Rahmen der Lutherdekade, das die globale Dimension der Reformation in den Mittelpunkt rückt. Mit der Lutherdekade bereiten Staat und EKD seit 2008 gemeinsam das 500. Reformationsjubiläum 2017 vor. Am Reformationstag feiern Protestanten in aller Welt ihre Ursprünge: Am 31. Oktober 1517 verbreitete Martin Luther seine 95 Thesen gegen kirchliche Missstände.

Mit Vertrauen und ohne Angst vor Veränderung

Nordkirchen-Bischof Gerhard Ulrich appellierte an die Christen, die gesellschaftlichen Veränderungen durch den Flüchtlingszuzug aktiv mitzugestalten. Das Wort Gottes mache frei von Ängsten vor den Fremden und vor Veränderungen, sagte er in einem ARD-Fernsehgottesdienst in Hamburg. Es sei das Verdienst Martin Luthers, dieses befreiende Wort allen Menschen zugänglich gemacht zu haben.

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung riet angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation zu "Vertrauen auf die Kraft der Barmherzigkeit". Jetzt gehe es konkret darum, was Schutzsuchende "brauchen und wie wir ihnen helfen und nicht, wie wir uns vor ihnen schützen können", sagte Jung in der Wiesbadener Lutherkirche. Er rief zu Nüchternheit und gegenseitiger Ermutigung auf und zollte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "großen Respekt" dafür, dass sie "die Frage nach der Not der Menschen erst einmal obenan gestellt hat".

Menschenwürde bewahren

Der Berliner Landesbischof Markus Dröge mahnte die Beachtung der Menschenwürde in der Flüchtlingspolitik an. Derzeit sei die zentrale Frage: "Wie bewahren wir die Würde des Menschen, und zwar sowohl derer, die aus Not zu uns kommen, als auch unsere eigene Würde?" sagte er in Brandenburg an der Havel. Die Menschen in Deutschland und Europa könnten helfen - "das gehört zu unserer Würde", erklärte der Bischof.

Der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad sagte in der Zweibrücker Alexanderskirche: "Bauen wir gerade jetzt Mauern und Ressentiments ab." Die christliche Freiheit als Kern des Evangeliums verpflichte dazu, sich für den Nächsten in Not einzusetzen. Zu lange hätten auch Christen zugeschaut, wie sich in vielen Regionen der Welt Kriege ausgebreitet hätten und Menschen zur Flucht gezwungen worden seien.

"Palästinenser müssen Chance auf Leben in Würde bekommen"

Der rheinische Präses Manfred Rekowski predigte in der Bonner Kreuzkirche. Frieden bedeute mehr als die Abwesenheit von Waffen-Gewalt, so Rekowski. "In vielen Konflikten der Erde wäre es schon ein wahrer Segen, wenn wenigstens die Waffen schweigen würden, wenn das ganze Elend von Sterben, Hungern, Fliehen-Müssen endlich ein Ende hätte", sagte er. Doch der Begriff Shalom/Friede in der Bibel meine etwas Umfassenderes, betonte der leitende Theologe der zweitgrößten evangelischen Landeskirche.

"Friede meint den Zustand, wo alles in Ordnung ist in einer Gemeinschaft, wo Menschen sich das geben, was sie brauchen zum Leben: Liebe, Achtung, Solidarität, Hilfe." Friede und Gerechtigkeit gehörten zusammen, sagte Rekowski weiter. "Es wird Frieden etwa im Nahen Osten nicht geben können, so lange die Palästinenser nicht die Chance bekommen, ein Leben in Würde und Selbstbestimmung zu führen."

Auszeichung für Ehepaar Köhler

Im Anschluss an den Gottesdienst in der Straßburger Thomaskirche wurden Alt-Bundespräsident Horst Köhler und seine Ehefrau Eva Luise Köhler mit der Martin-Luther-Medaille der EKD ausgezeichnet. Geehrt werde das politische und soziale Engagement des Ehepaares für Afrika, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Lange vor dem Zuzug Hunderttausender Flüchtlinge aus Syrien und Afrika hätten Horst und Eva Luise Köhler deutlich gemacht, "dass Humanität sich in unserer Welt nicht mehr regional oder gar national, ja nicht einmal europäisch verwirklichen lässt, sondern immer eine globale Frage und Herausforderung ist".

Das traditionelle Reformationsfest in Wittenberg lockte rund 25.000 Besucher an. Zum Programm gehörten Musik- und Theateraufführungen, ein historisches Marktspektakel und das 16.Konfirmandentreffen "Lutherspaß" mit 500 Teilnehmern. In Dortmund feierte am Reformationstag das kirchliche Poporatorium "Luther" Weltpremiere. Auf der Bühne der Westfalenhalle standen 3.000 Sänger, zudem Stars der Musical-Szene und ein großes Symphonie-Orchester.


Quelle:
epd , KNA