domradio.de: Genau wie vor drei Jahren sind die Unterlagen wohl auch diesmal beim Journalisten Gianluigi Nuzzi gelandet. Praktischerweise erscheint sein neues Buch diese Woche, das auf den jetzt entwendeten Dokumenten basieren soll. Die beiden Verhaftungen erscheinen wie eine PR-Maßnahme, oder?
Ludwig Ring-Eifel (Chefredakteur der Katholischen Nachrichtenagentur): Die Verhaftungen waren von Seiten des Vatikan sozusagen der letzte Versuch, vor der angekündigten Veröffentlichung des Buches von Nuzzi noch einmal die Initiative zurückzugewinnen. Nuzzi ist ja im Übrigen nicht der einzige, der in dieser Woche ein Buch über Vatikan-Skandale veröffentlicht. Es gibt auch den Journalisten Emiliano Fittipaldi vom Espresso, der am selben Tag ein Buch über Finanzskandale im Vatikan vorlegt. Bei Fittipaldi ist die Quelle wahrscheinlich eine andere. Bei Nuzzi kann man davon ausgehen, dass er derjenige war, der dem spanischen Priester Vallejo Balda und eben Francesca Chaouqui, die PR-Expertin angezapft hat, um seine Informationen zu bekommen.
domradio.de: Diesmal sind ja Dokumente weitergegeben worden, die im Zusammenhang mit der Neuordnung der Finanzen des Vatikan stehen. Papst Franziskus will eine neue Struktur, mehr Transparenz und vor allem weniger Verschwendung. Wie gefährlich wird jetzt dieser Vorfall für seine Pläne?
Ring-Eifel: Das hängt ganz davon ab, was in den Büchern drin steht und wie sie dann gedeutet werden. Nuzzi gibt ja selber vor, dass er im Interesse des Papstes handelt. Auch damals als er Dokumente unter Benedikt XVI. veröffentlicht hat, ging es ihm vorgeblich darum zu zeigen, was alles für Missstände im Vatikan herrschen und dass der Papst versucht, dort Ordnung zu schaffen. Nuzzi stellt das so da: Ich zeige, auf welche Widerstände der Papst stößt und was für einen Saustall er da aufzuräumen hat.
Es kann gut sein, dass in der allgemeinen Rezeption, das Buch sogar am Ende doch zu Gunsten des Papstes aufgenommen wird. Im Moment ist es ja so, egal, was der Papst tut, egal was passiert, es wird immer positiv für ihn interpretiert.
domradio.de: Die Folgen für diejenigen, die die Dokumente weitergegeben haben, sind ja nicht ohne. Die Karriere des vatikanischen Priesters Vallejo Balda dürfte im Vatikan vorbei sein. Er soll Opus-Dei-Anhänger sein und gehörte einer Finanzkommission von Papst Franziskus an. Die Italienerin ist PR-Spezialistin. Aus welchen Motiven haben sie wohl die Dokumente weitergegeben?
Ring-Eifel: Es ist ja nicht nur seine Karriere zu Ende, es droht ihm tatsächlich auch eine längere Haftstrafe. Es hat nach dem ersten Vatileaks-Skandal eine Änderung im vatikanischen Strafrecht gegeben. Seitdem ist der Geheimnisverrat tatsächlich unter Strafe gestellt. Ihm drohen also mehrere Jahre Haft im Vatikan. Das Motiv ist schwer abzuschätzen, bei ihm gäbe es natürlich ein fast schon zu einfaches Motiv: Er war in der Frühzeit des Pontifikats von Franziskus eine Art Shooting-Star. Der Papst mochte ihn offenbar sehr, hat ihn sehr gefördert, wollte ihn in eine herausgehobene Stellung befördern. Dann kam so allmählich heraus, dass er doch ein ziemlicher Aufschneider war und dass wenig Substanz dahinter war, bei dem was er so von sich gab. Der Papst hat ihn mehr oder weniger kalt gestellt. Es könnte also das Motiv sein, dass er sich rächen wollte, dafür dass er die versprochene Karriereleiter doch nicht erklimmen konnte.
Bei Frau Chaoqui ist das ein bisschen anders. Sie ist, wenn man sich ihre Internetauftritte und Fernsehinterviews anschaut, sehr geschwätzig, sehr eitel, auch intellektuell ein bisschen einfach gestrickt. Sie hat sich einfach verplappert, würde ich sagen. Bei Vallejo ist die Sache dann doch vielleicht etwas ernster.
domradio.de: Vatileaks vor drei Jahren wurde oft als Symbol für einen geschwächten Papst angesehen. Er ist wenig später zurückgetreten. Sie haben vorhin gesagt, egal, was Franziskus macht, es wird ihm immer positiv ausgelegt, aber könnte der jetzige Fall nicht trotz allem die Autorität des Papstes untergraben? Das Problem, dass Unterlagen verschwinden, bekommt der Vatikan ja schon seit Jahren nicht mehr in den Griff.
Ring-Eifel: Das ist ja ein Problem, was im Grunde keine Behörde dieser Welt mehr in den Griff bekommt. Das digitale Zeitalter bringt das nun einmal mit sich, dass Dinge leichter geleakt und verbreitet werden können als es früher der Fall war. Dass das jetzt einen Schatten auf das Pontifikat wirft, ist noch nicht notwendigerweise der Fall. Im Gegenteil, es könnte ja sein, dass noch klarer erkennbar wird, welchen Reformeifer der Papst dort an den Tag legt und was er da tatsächlich aufzuräumen hat. Ich glaube, er wird es umwandeln in einen neuen Schwung, auch noch einmal für seine Reformbemühungen - auch wenn ihm diese Art der Schützenhilfe überhaupt nicht recht ist. Ich glaube nicht, dass er sich heimlich darüber freut, dass er diese Vorlage bekommt. Das ist eine Art und Weise die Dinge auszunutzen, die ihm überhaupt nicht gefällt.
domradio.de: Hat der jetzige Vorfall das Potenzial zu einem großen neuen Vatileaks-Skandal zu werden?
Ring-Eifel: Ja, in der italienischen Presse ist heute zu lesen, dass weitere Namen auf der Liste der vatikanischen Gendarmerie stehen. Dass es auch möglicherweise weitere Festnahmen geben könnte. Es scheint ein größeres Netzwerk von Leuten dort zu geben, die dort mit Nuzzi zusammenarbeiten oder die je nach Auslegung entweder dem Papst nutzen oder ihm schaden wollen. Das wird meiner Einschätzung nach noch größere Kreise ziehen.
Das Interview führte Mathias Peter.