Ditib-Erklärung verurteilt Anschläge von Paris

"Die Gesellschaft soll zusammenrücken"

Islamische Verbände haben nach den Pariser Terroranschlägen eine Erklärung herausgegeben. In der Gesellschaft müssen sich jetzt alle engagieren, sagt der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime Zekeriya Altuğ im domradio.de-Interview.

Nach den Attentaten von Paris  / © Marius Becker (dpa)
Nach den Attentaten von Paris / © Marius Becker ( dpa )

domradio: Sie schreiben in der Erklärung: "Dieser Angriff ist auch ein Angriff auf uns." Inwiefern?

Zekeriya Altuğ (Sprecher des Koordinationsrates der Muslime): Weil wir auch Teil dieser Gesellschaft sind. Wir leben in dieser Gesellschaft und wir wirken in dieser Gesellschaft. Wir teilen die Werte und das sind genau die Werte, die diese Angriffe beschädigen wollen. Man richtet sich nach unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, nach der Vielfalt der Pluralität, nach unserer kulturellen Vielfalt und wir sind ein Teil dieser kulturellen Vielfalt. Das ist ein sehr wichtiges Zeichen, dass wir jetzt sagen, diese Vielfalt wollen wir erhalten. Jeder mag so glücklich werden wie er möchte und Jeder hat das Recht dazu. 

domradio: Diese Erklärung haben die acht größten muslimischen Religionsgemeinschaften unterschrieben - dabei bekommt man von den Muslimen in Deutschland manchmal den Eindruck, dass es da kein übergeordnetes Organ gibt. Ist ein so konzertiertes Vorgehen etwas Besonderes?

Zekeriya Altuğ: Natürlich. Die Muslime selbst sind auch nochmal plural aufgestellt. Das macht es ein bisschen schwieriger, in zeitlich engen Abständen eine Koordination hinzubekommen. Aber dieser Angriff ist etwas so Elementares, wo dann alle sofort gesagt haben, wir kommen. Bei der ersten Frage haben alle sofort reagiert. Man ist ganz zeitnah innerhalb eines Tages zusammengetreten und hat dann diese gemeinsame Erklärung in Angriff genommen. Das ist natürlich auch etwas Besonderes, dass man das dieses Mal hinbekommen hat, dass man gemeinsam vor die Presse treten konnte und gemeinsam Position beziehen konnte. 

domradio: Nach den Anschlägen hört man immer wieder den Satz "Nichts ist wie vorher". Wie muss unsere Gesellschaft darauf reagieren? Wie kann man den Absichten der Terroristen entgegentreten?

Zekeriya Altuğ: Ich glaube, Gesellschaften sind immer in einem Wandel und eine staatliche Gesellschaftsstruktur, eine homogene Gesellschaftsstruktur ist immer problematisch. Gesellschaften sind dann zukunftsfähig, wenn sie sich anpassen können, wenn sie sich wandeln können. Der Wandel ist immer dabei und oft sind es auch technische Errungenschaften, die den Wandel viel stärker beeinflussen als zum Beispiel kulturelle. Nichtsdestotrotz haben wir in den letzten Monaten und Jahren auch kulturelle Bewegungen, die einen Wandel betonen.

Die Frage, die sich für uns stellen muss ist: In was für einer Gesellschaft wollen wir uns zukünftig bewegen? Wie sehen wir die Zukunft für uns alle, was haben wir für Visionen? Da ist jeder in der Gesellschaft gefragt und da werden wir auch auf andere Religionsgemeinschaften, andere gesellschaftliche Akteure zugehen und an die Politik herantreten und darüber diskutieren, wie unsere Gesellschaft zukünftig aussehen soll. Für uns Muslime ist das ganz eindeutig. Wir sind Teil dieser Gesellschaft, wir wollen uns einbringen, wir wollen uns unserer Verantwortung stellen und zwar nicht nur in religiösen Themen, sondern auch in sozialen und gesellschaftlichen Bereichen. Wir wollen ein stärkeres Miteinander und Zusammenwachsen fördern. Ich denke mal, dass das die Zukunft sein wird. Da haben die Terroristen genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie vielleicht bewerkstelligen wollten.

domradio: Sie sagen, dass der erste Anschlag im Januar dafür gesorgt hat, dass die muslimischen Verbände enger zusammengerückt sind, und dass dieser Kreis jetzt noch in den Reihen der Friedliebenden und Freiheitliebenden erweitert werden soll. Was planen Sie da?

Zekeriya Altuğ: Da geht es nicht um die muslimischen Verbände, die zusammengerückt sind, sondern die Gesellschaft ist zusammengerückt. Das haben in Deutschland alle Religionen gesagt, dass wir nämlich ein Volk sind. Die Muslime haben sich auch zum ersten Mal in einer solchen Deutlichkeit dazu geäußert. Das ist damit gemeint und diese Sachen sollen jetzt erweitert werden. Sie sollen in der Form erweitert werden, dass wir sagen, jetzt geht es nicht nur darum zu bekennen, dass man ein Teil dieser Gesellschaft ist, sondern man will mitgestalten, man will die Zukunft auch mitbewegen und man will mehr Gemeinsamkeit.

domradio: Durch die Anschläge rückt das Thema Sicherheit wieder in den Fokus. Denn auch, wenn das Einzelfälle sind: Es gibt auch in Deutschland Muslime, die sich radikalisieren. Wenn so etwas passiert, was tun Sie dann?

Zekeriya Altuğ: Wir können dort wirken, wo wir die Menschen auch direkt erreichen. Das ist zum Beispiel das nähere Umfeld unserer Gemeinden. Dort leisten wir schon gute Arbeit. Das Hauptproblem bei dieser Thematik sind natürlich die Jugendlichen, die nicht religiös sozialisiert sind und die uns gar nicht kennen und die wir selber gar nicht kennen. Bei ihnen sind unsere Möglichkeiten mit den klassischen Methoden begrenzt. Wir haben aber auch in den letzten Monaten und Jahren dort angefangen, Überlegungen anzustellen und Projektideen zu entwickeln. Einige haben schon begonnen, andere sind angedacht.

Wichtig ist, dass wir auch außerhalb der Moscheen aktiv werden, das kann in sozialen Netzwerken, im Internet sein, wo wir sicherlich noch viel Nachholbedarf haben. Das kann aber auch in klassischen Bereichen, peer-to-peer-groups und anderen Jugendaktivitäten sein, die außerhalb der Moscheegemeinden funktionieren. Dort muss man authentisch, aus einer innerislamischen Perspektive versuchen, muslimische Jugendliche, die sich zum Islam bekennen, aber noch nicht so darin gefestigt sind, vor diesem problematischen Gedankengut zu schützen. Sie müssen Stück für Stück wieder in die Gesellschaft hineingeholt werden. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten, zum Beispiel sind wir als Ditib ganz aktuell Träger eines Wegweiserprojektes in Köln. Das kann ein Weg sein. Es gibt sicherlich auch andere Möglichkeiten, die vielfältig und sehr unterschiedlich ausfallen können.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR