Für Papst Franziskus steht ein Überdenken des kirchlichen Kondomverbots angesichts der Immunschwächekrankheit Aids derzeit nicht auf der Tagesordnung. Zugleich deutete er auf dem Rückflug von seiner Afrika-Reise vor Journalisten einen gewissen Ermessensspielraum in der Frage an. Die kirchliche Moral stehe hier vor einem Dilemma, so der Papst. Sie müsse zwischen dem Schutz des Lebens und der Offenheit von Sexualität für die Zeugung von Kindern abwägen - "entweder das fünfte oder das sechste Gebot".
Als eigentliche Probleme in Afrika bezeichnete er Unterernährung, Sklavenarbeit, Mangel an Trinkwasser, soziale Ungerechtigkeit und Kriege. Franziskus antwortete damit auf die Frage eines Journalisten, ob es angesichts der nach wie vor großen Zahl von Aids-Toten in Afrika nicht Zeit für eine Lockerung des Kondomverbots sei. Zum Kondomverbot direkt äußerte sich der Papst nicht.
Ihm gefalle es nicht, sich mit "derart kasuistischen" Fragen und Überlegungen zu beschäftigen, sagte Franziskus weiter. Das erinnere ihn an die Frage, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen, wie es die Pharisäer einst Jesus gefragt hätten. Es sei Pflicht zu heilen, betonte der Papst. Doch erst wenn alle von den "Krankheiten, die der Mensch macht", geheilt seien und "es keine Ungerechtigkeit mehr in dieser Welt gibt, können wir über den Sabbat reden".
Papst Franziskus besuchte im Rahmen seiner Afrika-Reise unter anderem Uganda. Das ostafrikanische Land hat eine der höchsten Aids-Raten weltweit. In Uganda traf er mit einer aidskranken Frau zusammen, äußerte sich jedoch nur kurz zu dem Thema. Die Benutzung künstlicher Verhütungsmittel ist nach katholischer Lehre untersagt. Papst Paul VI. (1963-1978) sprach das Verbot 1968 in seiner Enzyklika "Humanae Vitae" aus. Diese Entscheidung ist bis heute auch innerkirchlich umstritten. Bereits Benedikt XVI. hatte in einem 2010 erschienenen Interview-Buch mit Blick auf Aids gesagt, eine Verwendung von Kondomen könne in begründeten Einzelfällen das kleinere Übel sein.
Stiftung Weltbevölkerung fordert mehr Aufklärung
Zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember haben zahlreiche Organisationen zu anhaltender Achtsamkeit im Kampf gegen den HI-Virus aufgerufen. Wie die Stiftung Weltbevölkerung in Hannover mitteilte, ist Aids bei Jugendlichen weltweit immer noch die zweithäufigste Todesursache, in Afrika sogar die häufigste. Nach Expertenschätzungen leben weltweit 36,9 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, ein Großteil davon in Afrika südlich der Sahara. In Deutschland leben nach Angaben des Robert-Koch-Instituts derzeit rund 83.400 Menschen mit HIV oder Aids. Etwa 480 HIV-Infizierte sind 2014 gestorben.
"Die weltweiten Fortschritte im Kampf gegen Aids zeigen, dass sich Investitionen in Prävention und Behandlung auszahlen", sagte die Geschäftsführerin der Stiftung Weltbevölkerung, Renate Bähr. Unter den 10- bis 19-Jährigen aber gebe es eine besorgniserregende Stagnation. Allein 2014 hätten sich rund 220.000 Jugendliche neu mit HIV infiziert, ein Drittel davon Mädchen.
Dringend notwendig seien deshalb Präventionsmaßnahmen wie Aufklärung und Verhütungsangebote, die sich gezielt an diese Altersgruppe richteten. Die Stiftung forderte zudem die Bundesregierung auf, ihren Beitrag zum Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria von derzeit rund 210 Millionen Euro auf 400 Millionen Euro zu erhöhen.
Auf diese Programme verwies auf die Entwicklungsorganisation ONE. Sorge bereitet dem Hilfswerk, dass die Mittel zur Bekämpfung von HIV und Aids stagnierten. Die weltweiten Geberaufwendungen für die Krankheit in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen seien im Jahr 2014 auf 20,2 Milliarden US-Dollar gesunken. 2013 waren es noch 20,4 Milliarden Dollar. 87 Prozent der Mittel werden den Angaben zufolge von fünf Gebern übernommen: den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden.
World Vision: Ab 2030 keine Aids-Toten mehr ist realistisch
Mehr politischen Druck auf Medikamenten-Hersteller verlangte die Kampagne "Kinder ohne AIDS: Medikamente und Tests für Alle!" Nur sinkende Preise könnten Kinder in allen Ländern Zugang zu HIV-Tests und Medikamenten ermöglichen. Ende 2014 hätten weltweit erst 32 Prozent der Kinder Zugang zu HIV-Medikamenten gehabt, hieß es.
Vertreter des Bündnisses dem weltweit rund 300 Organisationen angehören, würdigten allerdings auch auf Fortschritte im Kampf gegen HIV bei Kindern. So hätten Medikamenten-Hersteller ihre Patente auf zentrale Kinderpräparate an einen Patentpool übertragen. In Zukunft können so geeignete und bezahlbare HIV-Medikamente für Kinder durch Generikahersteller produziert werden und fast allen HIV-positiven Kindern weltweit zugutekommen, sagt die Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen AIDS, Astrid Berner-Rodereda von "Brot für die Welt".
Laut Angaben von World Vision leben 2,6 Millionen Kinder weltweit mit dem Virus. Die Organisation verwies auf die von der UN im September verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele. Demnach soll bis zum Jahr 2030 niemand mehr an Aids sterben. »Dieses Ziel ist realistisch«, so World Vision-Experte Stefan Sengstmann. Die Mittel dazu seien bereits vorhanden und müssten nur breit angewandt werden. So könne die Eltern-Kind-Übertragung während Schwangerschaft, Geburt und Stillen verhindert werden. Auch eine flächendeckende Behandlung aller Menschen mit HIV sei grundsätzlich möglich.
ONE: Vor allem junge Frauen von Aids-Risiko betroffen
Die Entwicklungsorganisation ONE warnte am Dienstag in Berlin vor einer Verdrängung des weltweiten Aidsproblems. Es mache sich eine gefährliche Selbstzufriedenheit und zunehmende Ermüdung breit, erklärte die Organisation. Laut einem Bericht ist der "Wendepunkt" noch nicht erreicht. Den Angaben zufolge wurden im vergangenen Jahr 1,9 Millionen Menschen zusätzlich in Behandlungsprogramme mit lebensrettenden Medikamenten aufgenommen. Allerdings gab es auch zwei Millionen Neuinfektionen.
Der sogenannte Wendepunkt ist erreicht, wenn die Zahl derer, die in einem Jahr neu in Behandlungsprogramme aufgenommen werden, höher ist als die Zahl der Neuinfektionen. Laut Bericht starben im vergangenen Jahr rund 1,2 Millionen Menschen an Krankheiten, die mit Aids zusammenhingen.
Besonders junge Frauen seien von einem hohen Aids-Risiko betroffen, so die Entwicklungsorganisation. In Subsahara-Afrika habe diese Gruppe demnach ein dreimal höheres Infektionsrisiko als ihre männlichen Altersgenossen. In Südafrika infizieren sich pro Woche 800 Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 29 Jahren mit dem HI-Virus.