Solwodi prangert sexuelle Übergriffe an Flüchtlingsfrauen an

"Alleinreisende sind schutzlos"

Alleinreisende Frauen auf der Flucht oder in Unterkünften in Deutschland sind häufig Gewalt oder sexuellen Übergriffen ausgesetzt.

Flüchtlingsfrau in einer Beratungsstelle / © Monika Skolimowska (dpa)
Flüchtlingsfrau in einer Beratungsstelle / © Monika Skolimowska ( dpa )

Gabi Höbenreich-Hajek von Solwodi beschreibt bei domradio.de den Fluchtweg als oft grauenvolles Martyrium.

domradio.de: Was genau sind denn die Probleme, denen die Frauen ausgesetzt sind?

Gabi Höbenreich-Hajek (Leiterin der Hilfsorganisation Solwodi in München): Die Gemeinschaftsunterkünfte in München und wahrscheinlich auch bundesweit sind vorwiegend von männlichen Asylsuchenden besetzt. Im Unterschied zu den Flüchtlingszahlen, von denen 80 Prozent Frauen und Kinder sind, sieht das Verhältnis der Asylsuchenden andersherum aus. Es sind also 80 Prozent Männer mit ihren Familien und maximal 20 Prozent alleinreisende Frauen. Das bewirkt, dass die Frauen immer in der Minderheit sind. Auch wenn keine reale Gefahr besteht, so ist das subjektive Empfinden, das die Betroffenen haben, in dieser Art von Unterkunft ausgesprochen unbehaglich und angstbesetzt.

domradio.de: Vielfach ist es so, dass diese Problematik nicht nur in der Unterkunft in Deutschland vorherrscht, sondern dass Frauen auch schon auf der Flucht schlechte Erfahrungen sammeln mussten. Haben Sie da einen aktuellen Fall, von dem sie uns erzählen können?

Gabi Höbenreich-Hajek: Die Frauen, die hier ankommen und alleine unterwegs sind, müssen im Regelfall Hilfestellungen über sexuelle Dienstleistungen einkaufen - wenn nicht ohnehin mit Gewalt genommen wird, was die Schlepper oder Mit-Flüchtlinge haben wollen. Eine Frau, die alleine unterwegs ist, ist sie so wie Minderjährige schutzlos dem System der Schlepper ausgesetzt. Viele Frauen fliehen aus unterschiedlichen Gründen aus ihren Heimatländern. Da gibt es Zwangsverheiratungen, drohende Beschneidung oder andere Gründe. Sie machen sich meistens in Gruppen auf den Weg, in denen sie aber im Regelfall nicht ausreichend geschützt sind. Oftmals dauert es Monate, bis sie bei uns ankommen. Die Erfahrungen, die sie auf der Flucht machen müssen, sind grauenvoll und furchterregend.

domradio.de: Sind das Einzelfälle oder hören Sie das immer wieder?

Gabi Höbenreich-Hajek: Das höre ich leider immer wieder. Ich habe noch keine Frau getroffen, die alleine unterwegs war und nicht Gewalt oder sexuellen Übergriffen ausgesetzt war.

domradio.de: Wie helfen Sie dann? Gehen sie gemeinsam mit der Frau zur Polizei oder was können Sie tun?

Gabi Höbenreich-Hajek: Eine Anzeige bringt in diesen Fällen nichts, weil die Täter nicht identifiziert werden können. Das Problem ist, dass die Frauen immer wieder gezwungen sind, ihre Geschichte zu erzählen. Dies dann vor der Polizei zu erzählen, ist dann ganz schwierig. Deshalb ist eine Anzeige bei der Polizei nicht immer hilfreich. Wir versuchen die Frauen dann in Beratungsgesprächen zu stabilisieren oder in schwierigen Fällen mit einer Anbindung in eine Psychotherapie oder psychologische Betreuung zu helfen.

domradio.de: Was müsste geschehen, damit Alleinreisende besser geschützt sind? Kann man da überhaupt etwas tun?

Gabi Höbenreich-Hajek: Ich fürchte, dass wir den Fluchtweg nicht beeinflussen können. Jetzt wird über den Familiennachzug diskutiert. Die Frauen und Kinder sitzen teilweise bereits zurückgelassen in den Camps in Libyen, Jordanien oder der Türkei. Wenn die jetzt die Möglichkeit hätten, sicher hierher zu kommen, würde ihnen viel Leid erspart bleiben.

domradio.de: Wenn wir nicht direkt etwas für einen sicheren Fluchtweg machen können, was können wir denn eventuell hier in Deutschland tun?

Gabi Höbenreich-Hajek: In Deutschland ist es wichtig, dass wir darauf achten, dass Frauen Schutz bekommen. In München gibt es jetzt eine Initiative, bei der die Stadt eine Gemeinschaftsunterkunft nur für Frauen einrichtet. Das ist ein Anfang und wir hoffen, dass das Haus in eineinhalb Wochen in Betrieb genommen werden kann. Für viele Frauen ist es das erste Mal seit langem, dass sie sich sicher fühlen und geschützt sind. Wenn wir versuchen, die Probleme der Flüchtlingsfrauen ernst zu nehmen und sexuelle Übergriffe zu ahnden, wie wir es bei deutschen Frauen erwarten würden, dann wäre das ein wichtiger Schritt.

Das Interview führte Verena Tröster.

 

Quelle:
DR