domradio.de: Es geht um ein gleichberechtigtes Leben von Behinderten und Nicht-Behinderten Menschen. - Eigentlich ist das ja schon im Grundgesetz so festgeschrieben. Wo hakt es denn?
Weihbischof Otto Georgens (Beauftragter für Behindertenseelsorge in der Deutschen Bischofskonferenz): Ja, es ist im Grundgesetz geregelt, aber es hapert an der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die schon einige Jahre in Geltung und von Deutschland mit ratifiziert worden ist. Wir als Kirche haben natürlich noch einmal ein spezielles Interesse, weil wir uns sicher auch auf das Grundgesetz berufen können. Aber von unserem Verständnis des Menschen her müssen wir auch sagen: Alle Menschen sind gleichwertig und das motiviert uns eigentlich auch für seelsorgliche Begleitung und karitative Hilfen für Menschen mit Behinderung. Wir tun da schon eine ganze Menge, die Arbeit ist ja diözesan organisiert, es gibt speziell ausgebildete Seelsorger an alle Gruppen von Menschen mit Behinderung. Und trotzdem brauchen wir noch einmal einen neuen Schub, um weiter voranzugehen. Für mich ist nicht nur Inklusion ein wichtiges Stichwort, sondern auch Teilhabe.
domradio.de: Es geht auch nicht nur um das gleichberechtigte Leben, sondern auch um das gleichberechtigte Glauben.
Georgens: Ja, es gibt dieses Bischofswort "unBehindert Leben und Glauben teilen". Und wir von der Deutschen Bischofskonferenz, genauer gesagt die Pastoralkommission, hat einen Beirat für Seelsorge für Menschen mit Behinderung beauftragt, dieses Bischofswort fortzuschreiben. Wir gehen da im Sinne einer Arbeitshilfe zügig voran. Und Sie können es sich so vorstellen, dass dort Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten. Wir sehen uns als Kirche hier in die Pflicht genommen.
domradio.de: Inwiefern unterscheidet sich die Seelsorge für Menschen mit Behinderung von der Seelsorge für Menschen ohne Behinderung?
Georgens: Es geht um Menschen und was wir brauchen ist eine besondere Sensibilität für Menschen mit Behinderung. Aber das seelsorgliche Angebot ist eigentlich gleich. Aber es gibt ein barrierefreies Angebot. Das heißt nicht nur, dass es an Kirchen Rampen gibt - es setzt auch einen Mentalitätswechsel voraus, dass wir wirklich darum wissen und uns so verhalten, dass alle Menschen gleich sind.
domradio.de: Behinderung ist ja nicht gleich Behinderung. Die Probleme eines Rollstuhlfahrers sind ja andere wie die eines Blinden oder eines Menschen mit geistiger Behinderung. Das kann man ja schlecht über einen Kamm scheren.
Georgens: Nein, und jede Gruppe hat ihre eigenen Notwendigkeiten. Ich denke da zum Beispiel an ein Projekt, das zusammen in Kooperation läuft mit dem katholischen Bibelwerk: "Leichte Sprache". Das Evangelium wird dort in leichter Sprache an die Hörer weitergegeben. Ich begrüße dieses Vorhaben, es gab auch kürzlich einen Kongress darüber in Nürnberg, wo wir uns auch engagieren. Oder zum Beispiel ist auch das Gotteslob in leichter Sprache angedacht. In diese Richtung gibt es einige Initiativen. Wir müssen sie nun verstärken.
domradio.de: Sie sind beauftragt für die Behindertenseelsorge in der Bischofskonferenz. Was muss in Gesellschaft und Politik noch passieren?
Georgens: Wir brauchen ein neues Denken. Wir müssen sehen, dass Menschen mit Behinderung nicht nur die Möglichkeit haben sollen, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, sondern dass sie auch etwas beitragen können. Sie nehmen nicht nur an den kulturellen, ökonomischen, politischen Errungenschaften einer Gesellschaft teil. Sie geben zu all diesen Bereichen etwas Eigenes hinzu. Sie besitzen nicht nur auch Kompetenzen, sie besitzen auch nur Kompetenzen, die sie von anderen unterscheiden. Sie entwickeln ja auch soziale Kompetenzen, sie sind kulturell kreativ und vor allem verblüffen sie uns immer wieder durch ihre Lebenskraft und ihre Lebensfreude, die oftmals "gewöhnliche Menschen" gar nicht kennen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.