Anders als seine Vorgänger verzichtete Franziskus auf die symbolischen Hammerschläge, mit denen die Zeremonie traditionell eingeleitet wurde.
Benedikt XVI. schreitet ebenfalls durch die Heilige Pforte
Er verweilte im stillen Gebet und mit tiefer Verneigung auf der Schwelle und betrat dann als erster Pilger des Jubiläumsjahrs der Barmherzigkeit den Petersdom. Ihm folgten der emeritierte Papst Benedikt XVI. (88) und jene Kardinäle, Bischöfe und Priester, die bei der Messe konzelebriert hatten, sowie einige Laien. Sie zogen in Prozession zum Hauptaltar über dem Petrusgrab.
Im Heiligen Jahr sollten sich die Gläubigen die Haltung des barmherzigen Samariters zu Eigen machen, forderte der Papst. "Wir müssen die Barmherzigkeit dem Gericht voranstellen". Das Gericht Gottes müsse immer "im Licht der Barmherzigkeit stehen". Andernfalls tue man Gott und seiner Gnade Unrecht.
Die Zeremonie begann gegen Ende der Messe, nach der Austeilung der Kommunion. Franziskus begab sich ins Atrium des Petersdoms, in dem sich auch Benedikt XVI. eingefunden hatte; beide begrüßten sich mit einer brüderlichen Umarmung. In einem Gebet bat Franziskus um ein "Jahr der Gnade", ein Jahr der Gottes- und der Nächstenliebe, ein Jahr der Vergebung und des Friedens.
Bis zum Ende des Außerordentlichen Heiligen Jahres wird die Heilige Pforte des Petersdoms von Millionen Pilgern durchschritten, die in Gebet und Meditation um Vergebung und Barmherzigkeit bitten. In den kommenden Tagen sollen solche Pforten auch in allen Kathedralkirchen der Weltkirche eröffnet werden. Das vom Papst kurzfristig ausgerufene "Jubiläum der Barmherzigkeit" soll nicht nur in Rom, sondern auch auf Ebene der Ortskirchen begangen werden. Leitgedanken sind Umkehr, Bekehrung und Werke der Barmherzigkeit.
Zuletzt fand 2000 zum Jahrtausendwechsel ein Heiliges Jahr statt. In der Regel werden solche Jahre alle 25 Jahre begangen. Diesmal handelt es sich um ein sogenanntes Außerordentliches Heiliges Jahr.
Die Eröffnung endet am Abend mit einer Lichtshow auf dem Petersplatz. Bilder renommierter Fotografen zu den Themen Barmherzigkeit, Menschlichkeit und Umwelt werden auf Fassade und Kuppel des Petersdoms projiziert. Die Show nimmt Bezug auf die im Juni veröffentlichte Umweltenzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus.
Heilige Pforte am Kölner Dom
Die Kirche solle "allen Menschen die Zärtlichkeit Gottes bringen", heißt es in der Bulle "Misericordiae vultus", mit dem der Papst im April ein außerordentliches Heilige Jahr ankündigte hat. Die Zeit sei eine Gnadenzeit und "die günstige Gelegenheit, um sein Leben zu ändern", schreibt Franziskus darin. Strahlkraft wünscht er sich jedoch weit über die zwölf Monate hinaus: Alle Menschen und auch die Kirche sollten die Zeit nutzen, um die "Barmherzigkeit Gottes zum eigenen Lebensstil werden zu lassen".
Barmherzigkeit sei auch im Islam und im Judentum eine der wichtigsten Eigenschaften Gottes, so der Papst. Daher könne das Heilige Jahr die Begegnung mit diesen und anderen religiösen Traditionen fördern. "Es mache uns offener für den Dialog, damit wir uns besser kennen und verstehen lernen. Es überwinde jede Form der Verschlossenheit und Verachtung und vertreibe alle Form von Gewalt und Diskriminierung", schreibt Franziskus hoffnungsfroh.
In Köln wurde genau wie in Rom am 8. Dezember eine Heilige Pforte geöffnet. Es gab zunächst einen Statio-Gottesdienst in der Minoritenkirche, bei dem aus der Bulle des Papstes zum Heiligen Jahr vorgelesen wurde, danach ging es in einer feierlichen Prozession zum Dom, wie Domdiakon Reimund Witte erklärte. Hier hat Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki eine Heilige Pforte geöffnet.
Die Zeichen Jesu Christi "gerade gegenüber den Sündern, Armen, Ausgestoßenen, Kranken und Leidenden", seien ein "Lehrstück der Barmherzigkeit". Jesus zeige Barmherzigkeit auch als "Kriterium, an dem man erkennt, wer wirklich Gottes Kinder sind", so der Papst, und weiter: "Wir sind also gerufen, Barmherzigkeit zu üben, weil an uns selbst bereits Barmherzigkeit erwiesen wurde. Die Vergebung von begangenem Unrecht wird zum sichtbarsten Ausdruck der barmherzigen Liebe, und für uns Christen wird sie zum Imperativ, von dem wir nicht absehen können."
Franziskus' Wunsch an alle Pfarreien, kirchlichen Gemeinschaften und Bewegungen: "Überall wo Christen sind, muss ein jeder Oasen der Barmherzigkeit vorfinden können" - zunächst um das Wort Gottes zu hören und zu meditieren, um das Verständnis seiner Barmherzigkeit zu vertiefen.
Vergeben und Handeln
Ebenso sei jedoch Handeln gefragt: Alle Gläubigen sollten Augen und Ohren für Arme, Benachteiligte und Notleidende öffnen, jede Gleichgültigkeit gegenüber ihnen überwinden und selbst Hand anlegen, zumal die Armen "die Bevorzugten der göttlichen Barmherzigkeit" seien.
Dazu empfiehlt der Papst besonders die klassischen "Werke der Barmherzigkeit": Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke pflegen, Gefangene besuchen und Tote begraben - die "leiblichen" Werke, zudem auch die "geistlichen" Werke wie Zweifelnden recht raten, Unwissende lehren, Sünder zurechtweisen, Betrübte trösten, Beleidigungen verzeihen, Lästige geduldig ertragen und für die Lebenden und Verstorbenen zu Gott zu beten.
Kurzer Pilgergang
In einem Anfang September veröffentlichten Brief teilt Franziskus mit, wie der "Jubiläumsablass" im Heiligen Jahr zu erhalten ist: Grundbedingungen sind demnach ein "kurzer Pilgergang" zu einer Heiligen Pforte, verbunden mit einer Beichte, einer Eucharistiefeier, dem Glaubensbekenntnis, einem Nachdenken über die Barmherzigkeit Gottes und das Gebet für den Papst und dessen Anliegen. Genauso kann jedoch auch jede barmherzige Tat dieses Geschenk vermitteln, das "von allen Konsequenzen der Sünde befreit, sodass er wieder neu aus Liebe handeln kann". Auch für Verstorbene kann der Ablass erlangt werden.
Um möglichst vielen den Zugang zu diesem Ablass zu ermöglichen, sind seine Vorbedingungen noch deutlich ausgeweitet: Er gilt auch für alte, einsame Menschen, die das Haus nicht verlassen können und diesen Moment der Prüfung "mit Glauben und freudiger Hoffnung leben", dabei die Kommunion empfangen oder an einer Messe teilnehmen - auch über TV oder Radio.
Gleiches gilt für Gefangene; für sie kann der Ablass in den Gefängniskapellen erlangt werden "und jedes Mal, wenn sie durch die Tür ihrer Zelle gehen und dabei ihre Gedanken und ihr Gebet an Gottvater richten". Diese Geste sei wie ein Durchgang durch die Heilige Pforte, so der Papst; Gott könne sogar die Gitter in eine Erfahrung der Freiheit verwandeln.
Besonderes Augenmerk widmet der Papst schließlich dem "Drama der Abtreibung": "Ungeachtet gegenteiliger Bestimmungen", erhalten alle Priester die Vollmacht, "von der Sünde der Abtreibung jene loszusprechen, die sie vorgenommen haben und reuigen Herzens dafür um Vergebung bitten". Abtreibung sei eine "existenzielle und moralische Tragödie" und tiefstes Unrecht, solle jedoch von der Vergebung Gottes nicht ausgeschlossen sein. Die Lossprechung für diese schweren Fälle ist ansonsten nur in bestimmten Kirchen und durch bestimmte Beichtväter möglich.