In der Diskussion um die katholische Lehre zu Ehe und Sexualität plädiert der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Stefan Vesper, für Reformen. "Die Kirche muss sich doch im Bereich der Sexualmoral den Erkenntnissen der Humanwissenschaften stellen", sagte Vesper in einem Interview der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" am Donnerstag. "Wir wissen jetzt zum Beispiel, dass Homosexualität im Menschen angelegt ist. Das kann die Kirche doch nicht ignorieren."
In einem Streitgespräch mit dem Passauer Bischof Stefan Oster plädierte Vesper für Wertschätzung lesbischer und schwuler Paare. Auch in homosexuellen Partnerschaften würden Werte wie Treue und Verlässlichkeit gelebt. Aus dem gleichen Grund verdienten auch Paare, die unverheiratet zusammenleben oder in zweiter Ehe miteinander verheiratet sind, die Wertschätzung der Kirche. "Segnen, benedicere, heißt auch, für einen bestimmten Weg die Begleitung Gottes versprechen. Das müsste doch möglich sein."
Sexualität habe ihren "genuinen Ort in der Ehe zwischen Mann und Frau", so Oster.
Der Passauer Bischof Stefan Oster bezweifelt, dass Homosexualität angeboren ist. Dies sei seiner Ansicht nach "keine gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnis", sagte Oster. Zugleich räumte Oster ein, dass Homosexualität eine Orientierung sei, die sich "in der Regel" niemand aussuche. "Aber folgt daraus schon die Norm, das Muss, dass sie 'gelebt werden darf'?", so der Bischof. Die Kirche wolle die Menschen in allen Lebenslagen begleiten, "egal welcher Orientierung", betonte Oster. Wer jedoch etwa eine Segnung von schwulen und lesbischen Paaren fordere, kehre die geltende Lehre um. Sexualität habe ihren "genuinen Ort in der Ehe zwischen Mann und Frau".
Stefan Vesper sieht die Kirche in einem ständigen Lernprozess. Ihre Lehre sei nicht statisch. "Sie muss in jede Zeit und Kultur aufs Neue übersetzt werden." Zudem müsse die Lehre auch den Glaubenssinn der Menschen berücksichtigen und darauf reagieren, wenn etwa 95 Prozent der Jugendlichen ihre Sexualität nicht so lebten, wie die Kirche das vorsehe. Die Kirche solle dabei helfen, Sexualität verantwortlich zu gestalten. "Das kann jedoch nicht bedeuten, alles abzuqualifizieren, was es an Zusammenleben außerhalb der Ehe gibt."
Kirche müsse Glaubenssinn der Menschen berücksichtigen, so Vesper.
Mit Blick auf Ehescheidungen und die kirchliche Bewertung einer zweiten standesamtlichen Ehe plädierte der Generalsekretär für mehr kirchliche Barmherzigkeit der deutschen Katholiken (ZdK) und die Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten. "Es kann doch sein, dass eine Ehe irreparabel zerbricht, zum Beispiel, wenn es Gewalt gibt oder Suchtprobleme", argumentierte er. "Die Aussage: Die erste Ehe wirkt fort, egal was passiert, finde ich hartherzig."
Dass weniger als die Hälfte aller Ehen, in denen beide Partner katholisch sind, auch kirchlich geschlossen werden, bezeichnete der ZdK-Generalsekretär als "ein Desaster unserer Kirche". Die sakramentale Ehe dürfe "nicht zu einem elitären Projekt werden. Das muss uns doch zu denken geben - übrigens auch, weil es in der Folge auch weniger Taufen bedeutet".