domradio.de: Wer sind für Sie barmherzige Menschen?
Henriette Reker: Barmherzige Menschen sind für mich Menschen, die den Charakterzug haben, großzügig zu sein und sich anderen Menschen zuwenden, ohne auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein.
domradio.de: Das ist doch manchmal für Politiker nicht einfach, oder?
Henriette Reker: Ich glaube, Barmherzigkeit hat nichts mit dem Beruf zu tun, sondern es ist eine Charaktereigenschaft, die wenn nicht vielleicht durch Sozialisation entstanden ist, mindestens dann durch Ereignisse entstehen kann, die man erlebt hat.
domradio.de: Sie haben sich für die Flüchtlinge eingesetzt, Sie machen das immer noch. Ist das für Sie auch ein Akt der Barmherzigkeit?
Henriette Reker: Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Die Menschen, die zu uns kommen, haben meist alles verloren. Sie haben ihre Familien verloren, sie haben ihre Häuser verloren, ihr Eigentum verloren, ihre Freunde, kommen mit dem Ausblick auf ein besseres Leben. Ich glaube, dass jeder, der seine Heimat verlässt, in einer so schlimmen Situation ist, dass man ihm nicht vorwerfen sollte, eine bessere Lebenschance für sich und seine Kinder zu suchen. Das ist für mich selbstverständlich, dass wir Menschen, denen es viel, viel schlechter geht als uns, helfen. Es ist ja auch so, dass – jedenfalls wenn ich von Köln sprechen darf – bisher tatsächlich nur sehr wenige Menschen direkt wirklich einen Beitrag erbringen, den sie nicht freiwillig erbringen. Wir haben erstmal diese wunderbaren Willkommensinitiativen. Aber tatsächlich sind es im Moment die Schüler, deren Turnhallen für die Flüchtlinge hergerichtet werden, die auf den Schulsport verzichten müssen und die Sportvereine. Ich glaube, dass es sonst in Köln bisher noch kaum jemanden in die Situation gebracht hat, auf irgendetwas verzichten zu müssen.
domradio.de: Sind Sie zufrieden mit dem Beitrag der Kirchen für die Barmherzigkeit? Ist das wichtig, was die Kirchen machen?
Henriette Reker: Das ist unglaublich wichtig, was die Kirche macht, vor allem deswegen, weil die Kirche ja auch symbolhaft tätig werden kann. Es ist ja etwas anderes, wenn man wie eine Kommune eine Aufgabe erfüllt, oder auch wie Willkommensinitiativen mit Herzlichkeit und Zugewandtheit den Menschen begegnet, oder wie man als große Institution oder als Gemeinde auch Strahlkraft entwickelt kann. Und dass jetzt der Papst das Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat als Gegenpol zu diesen ganzen gewaltsamen Strömungen des IS, diesen menschenverachtenden Anschlägen, das ist genau die richtige Zeit und da sollten wir alle darüber nachdenken und unseren Beitrag leisten.
domradio.de: Ist Weihnachten für Sie ein besonderes Weihnachten?
Henriette Reker: Ja, es ist ein besonderes Weihnachten, weil, wenn die Zeit wieder ein bisschen still steht - und so erlebe ich das Weihnachten und auch zwischen den Jahren - wir alle auch nochmal innehalten und ich auch nochmal darüber nachdenken werde, welche positiven Kräfte ich jetzt aus dem Erlebten im vergangenen Jahr ziehen kann.
domradio.de: … der liebe Gott wollte sie noch nicht haben, wie Sie sagten …
Henriette Reker: Davon bin ich fest überzeugt! Ich gehe auch hin und wieder, zum Beispiel wenn ich in einer fremden Stadt bin, in Kirchen und stelle auch eine Kerze auf. Das gehört einfach für mich dazu. Und ich weiß, dass ich sehr, sehr viel Glück gehabt habe und dafür bin ich unendlich dankbar.
Das Interview führte Birgitt Schippers.