Adveniatbotschafterin über Jugendarbeit in Kolumbien

Alternativloses Hoffen auf Frieden

Seit drei Jahren koordiniert die Theologin Ulrike Purrer die diözesane Jugendarbeit im abgeschiedenen Tumaco in Kolumbien. Kein einfacher Job, denn die meisten der 80.000 Einwohner sind Bürgerkriegsflüchtlinge.

Ulrike Purrer mit Firmlingen / © Jürgen Escher (Adveniat)
Ulrike Purrer mit Firmlingen / © Jürgen Escher ( Adveniat )

domradio.de: Haben Sie denn die Hoffnung, dass sich mit den Friedensverhandlungen für Kolumbien tatsächlich eine Friedensperspektive auftut?

Ulrike Purrer (Theologin und Jugendarbeiterin in Kolumbien): Natürlich müssen wir an den Frieden auf jeden Fall glauben. Es gibt überhaupt keine Alternative zu diesen Friedensverhandlungen, die jetzt gerade stattfinden und auch die Bevölkerung teilt die Hoffnungen auf jeden Fall. Nichts desto trotz muss man aus unserer Region, die eben sehr weit weg ist von der Hauptstadt und sehr verlassen ist, dass wir auch große Bedenken haben, was das für eine Dynamik in Gang setzt, wenn die Friedensverträge unterzeichnet sind. Die bewaffneten Akteure geben ja nicht ersatzlos einfach ihre Waffen ab. Im Moment ist überhaupt nicht klar, was die Alternativen sein sollen - auch als Überlebensangebote für diese Menschen, die dann aus den Bergen zurückkommen und eigentlich nichts anderes können als Krieg führen.

domradio.de: Die Leute in Tumaco verfolgen also mit sehr großem Interesse die Friedensverhandlungen?

Purrer: Die Menschen in Tumaco haben wirklich große Hoffnung und verfolgen jede Verhandlungsrunde und sind voller Hoffnung, dass nächstes Jahr der Frieden unterschrieben wird. Bei uns in der Region ist die Problematik: Vor einigen Jahren hat es ja schon mal die Entwaffnung der paramilitärischen Truppen gegeben, das ist für unsere Region leider nach hinten los gegangen, weil diese Gruppen sich neu formiert haben, neue illegale Gruppen gegründet haben. Die Waffen sind ja nicht verschwunden und die Gewalt und die Mordrate sind sogar noch einmal hochgegangen. Jetzt ist die Befürchtung so ein bisschen da, wenn dort in Havanna Friedensverträge unterschrieben werden, was wird dann mit den Menschen?  Die FARC-Guerilla kontrolliert unser Gebiet komplett. Werden sie sich in neuen illegalen Gruppen organisieren und trotzdem das Drogengeschäfte und die soziale Kontrolle weiter in ihren Händen behalten?

domradio.de: Von all diesen Sorgen berichten Sie als Adveniat-Aktionsgast, was möchten Sie denn den Deutschen, von denen die meisten nicht viel über Kolumbien wissen, vermitteln? Was soll hängen bleiben?

Purrer: Einerseits möchte ich die Hoffnung für diesen Frieden vermitteln und auch dieses Potential, was in der Bevölkerung selber da ist. Gerade die Jugendlichen, mit denen ich arbeite, motivieren mich sehr für diese ganze Arbeit. Gleichzeitig habe ich schon die Hoffnung, dass auch Deutsche sich als Wähler und Konsumenten kritisch fragen sollten, was habe ich denn eigentlich mit Problemen anderswo zu tun. Das ist ja nicht immer wahnsinnig weit weg, sondern es sind deutsche Waffen, die in diesem kolumbianischen Konflikt zum Einsatz kommen, die in Hamburg bis heute hergestellt werden. Es sind auch deutsche Unternehmen, die zum Teil illegale Rohstoffe ankaufen. Wir sitzen ja heutzutage alle in einer globalisierten Welt und können das nicht ignorieren. Wir haben da eine Verantwortung, uns auch hier in Deutschland für die richtigen Politiker zu entscheiden und vielleicht auch in unserem Konsumdenken uns zu fragen, ob unser Lebensstandard weltweit tragfähig ist.

domradio.de: Wie muss ich mir denn die Region vorstellen, in der Sie arbeiten?

Purrer: Tumaco liegt im südwestlichsten Zipfel von Kolumbien, direkt an der Pazifikküste. Es ist eine ganz vergessene Region mit 98 Prozent afrokolumbianischer Bevölkerung, einer ganz schlechten Infrastruktur. Wir haben nur eine Straße überhaupt, die uns mit der Außenwelt verbindet. Der Rest sind Mangrovenwälder, Urwald und eben die wunderschönen Strände des Pazifiks.

domradio.de: Wie sieht so ein ganz normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?

Purrer: Ich lebe direkt in der Flüchtlingssiedlung. In dem Moment, wo ich morgens aufstehe und meine Tür aufmache, beginnt die Arbeit. Sie besteht darin, hauptsächlich Jugendgruppen zu organisieren und über diese Jugendgruppen zu versuchen, mit Ihnen neue Perspektiven zu entwickeln. Wir haben insgesamt schon 30 Jugendgruppen aufbauen können, die an verschiedenen Orten funktionieren und eine Vertrauensstruktur sind. Die Methoden, mit denen wir arbeiten, sind ganz populär für Jugendliche, also über den Sport, über  Hiphop und Rapmusik, wo sie über die Musik versuchen, ihre Träume und ihre Sorgen auszudrücken.

domradio.de: Sie haben jetzt diesen jahrezehntelangen Bürgerkrieg in Kolumbien angesprochen, wie traumatisiert sind denn die Menschen?

Purrer: Das ist schwer zu sagen. Was zu merken ist, es gibt keinerlei Vertrauen zwischen den Menschen, es wird überhaupt nicht miteinander über Dinge gesprochen. Es passieren ja jeden Tag Morde vor den Augen der Leute am helllichten Tage und niemand hat was gesehen, niemand spricht darüber und das ist fast wie so eine kollektive Traumatisierung. Menschen werden in Tumaco in seltensten Fällen beerdigt, weil sie am Alter gestorben sind. Man stirbt eigentlich immer an Gewaltverbrechen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR