domradio.de: In Deutschland gibt es eine teils heftig geführte Diskussion um den Umgang mit Flüchtlingen nach der Silvesternacht in Köln. War das in irgendeiner Form auch Thema in Israel?
Pater Nikodemus Schnabel: Natürlich war das ein Thema. Israel schaut sehr genau nach Europa, fühlt sich kulturell sehr eng mit Europa verbunden und ist auch Teil der westlichen Welt. Ein großer Teil der Israelis und besonders die aktuellen Regierungsparteien fragen sich, wie wir mit den Flüchtlingen umgehen. Gerade Israel sieht das im Hinblick auf die arabischen Muslime doch sehr kritisch und findet Deutschland mit seiner Haltung doch etwas naiv. Tatsächlich gab es genau diese Stimmen nach der Silvesternacht. Es gab den Tenor, dass man nun die Quittung für die Naivität bekommen habe und doch endlich aufwachen solle. Dazu gab es dann auch den Bogen zurück zur Innenpolitik: "Versteht ihr langsam einmal, warum wir Israelis die Politik so machen, wie wir sie machen?", war eine Fragestellung. Es bildete sich die Forderung heraus, die Kritik an Israel zu drosseln, weil Israel ja tagtäglich mit diesen Menschen, die Deutschland nun erlebt hat, zu tun hat.
domradio.de: Trotzdem hat man den Eindruck, dass Deutschland bei den Israelis eigentlich einen guten Ruf besitzt. Es leben in Berlin ja viele Israelis, die zum Studieren hierher kommen. Auf der anderen Seite hört man, dass aus Frankreich sehr viele Juden auswandern und nach Israel kommen. Wie wird nach Ihrem Eindruck im Moment Deutschland in Israel wahrgenommen?
Pater Nikodemus Schnabel: Immer noch absolut positiv. Deutschland ist in jeder Hinsicht ein absolut beliebtes Land. Für die Kulturschaffenden und für die etwas linken Israelis ist Berlin eine magische Stadt. Wenn man erwähnt, dass man gerade aus Berlin kommt, dann strahlen die Gesichter. Das ist eigentlich schon ein Sehnsuchtsort, weil eben in Berlin auch eine wichtige jüdische Bewegung, die Haskala, entstanden ist - eine besondere Form des Judentums. Es besteht auch für die aschkenasischen Juden ein besonderer Reiz nach dem Motto "Back to the roots". Viele wissen, dass sie eigentlich aus Deutschland oder Österreich kommen und gerade die Generation, die jetzt um die 30 Jahre alt ist, ist sehr neugierig, das wiederzuentdecken. Auf der anderen Seite spürt man auch, dass auf Deutschland Verlass ist. Jetzt ist gerade wieder ein U-Boot geliefert worden, das feierlich eingeweiht wurde. Wir hatten im vergangenen Jahr das Jubiläum 50 Jahre Deutschland-Israel, was rauf und runter gefeiert wurde. Ich würde sagen, es besteht eher eine Asymmetrie, dass von deutscher Seite eher kritischer auf Israel geschaut wird, als umgekehrt.
domradio.de: Das "Heilige Land", wie wir als Christen immer wieder sagen, hat kein ruhiges Jahr hinter sich gebracht. Das gilt auch ganz persönlich für Sie, weil Ihre Abtei, die Dormitio-Abtei mitten in Jerusalem, Opfer von Schmierattacken geworden ist. Wieso passiert es immer wieder, dass Vandalismus gegen Ihre Abtei verübt wird?
Pater Nikodemus Schnabel: Diese Schmierereien gab es kurz bevor ich nach Deutschland geflogen bin. Das war vor dem Abflug quasi meine letzte Aufgabe als Pressesprecher, diese Attacke zu kommentieren und zu begleiten. Die Schmierereien sind im Vergleich nur ein schwaches Echo zu dem, was wir im Sommer 2015 mit Tabgha, unserem Priorat am See Genezareth, wo es gebrannt hat, und 1,6 Millionen Euro Schaden und zwei Verletzte im Krankenhaus in der Bilanz stehen, erlebt haben. Diese Schmierereien zeigen, dass es auch nach dem Brandanschlag in Tabgha weitergeht. Es gibt eine sehr kleine, sehr radikale Gruppe - jüdische Rechtsradikale aus dem national-religiösen Spektrum - die uns abgrundtief hasst und den Slogan aller Rechtsradikalen dieser Welt hat. Bei denen lautet das Motto nur "Israel den Juden, Nicht-Juden raus". Die waren offensichtlich mal wieder am Werk.
Wir haben uns aber damit getröstet, indem wir am Sonntag in der Eucharistie für die, die uns hassen, gebetet haben. Das ist der Lackmustest des Christentums. Das zeigt, dass wir, wenn wir als Christen angegriffen werden auch als Christen reagieren. An dem Sonntag kamen, und das ist der zweite Aspekt, Juden aller möglichen Spektren zu uns. Es kam Anat Hoffman, eine der anerkanntesten feministischen Kämpferinnen für "The woman of the wall", die möchte, dass die Frauen an der Klagemauer auch beten können und es kam Nahum Schlezinger, einer der berühmtesten Rabbiner aus Mea Shearim, ein ultraorthodoxer Jude. Das heißt, wir können wirklich sagen, wir hatten noch nie so viele jüdische Freunde aus allen Spektren der Gesellschaft wie jetzt. Man kann fast sagen, die Rechnung der Radikalen geht nicht auf, denn die Solidarität mit uns wächst auch.
domradio.de: Sie haben den Brandanschlag auf Tabgha schon erwähnt. Hatten Sie angesichts dieser Geschehnisse und zwei Verletzten eigentlich die Überlegung, das Land zu verlassen?
Pater Nikodemus Schnabel: Die Verführung war da, aber wir haben uns als Gemeinschaft doch sehr schnell berappelt und sehr klar gesagt, dass wir eigentlich am Scheideweg stehen. Die eine Option wäre, zu schauen, wie wir die Mauern und die Zäune erhöhen und mehr für unsere Sicherheit sorgen können. Natürlich ist das ein Thema. Und gerade was die Sicherheit betrifft, wollen wir den israelischen Staat nicht aus der Verantwortung entlassen. Da muss mehr geschehen. Aber innerlich haben wir Nein gesagt. Wir sind ja freiwillig hier. Die Brotvermehrungskirche, wo Jesus sich der 5.000 erbarmt hat und der Ort vom Pfingstwunder vom letzten Abendmahl sind Orte, da gehört es dazu, mit offenem Herzen und offenen Armen alle zu empfangen.
Das ist unsere Antwort. Wir machen nicht mit bei der Hassspirale, wir sind weiter für alle da, egal ob es Juden, Christen, Muslime, Drusen oder Atheisten sind. Jeder ist herzlich willkommen. Wir wollen unsere Berufung ernst nehmen und wollen uns nicht abschotten. Wir haben auch auf sehr konkrete Art und Weise reagiert, indem wir mittlerweile einen Tag des offenen Klosters haben, zu dem wir die Nachbarschaft einladen. Zudem haben wir auch das Projekt "Meet a monk", also "Triff einen Mönch", wo viele Juden zum ersten Mal in ihrem Leben einen Mönch erleben. Dabei geht es einfach darum zu erzählen, warum man Mönch geworden ist, wie wir beten und ob wir auch Speisevorschriften haben. Es wird bei den Treffen viel gelacht. Das ist unser Rezept den Nachbarn zu zeigen, dass man keine Angst vor uns zu haben braucht. Wir haben auch keine politische Agenda und wollen auch keinen missionieren. Wir sind da, weil Wilhelm II. dieses Kloster gegründet hat und einen Standort für die deutschsprachigen katholischen Pilger etablieren wollte. Die erwähnten Reaktionen nach den Schmierereien machen uns Mut für die Zukunft.
domradio.de: Hier in Köln ist das Hauptportal des Domes besonders geschmückt. Anlass ist das Jahr der Barmherzigkeit, das Papst Franziskus ausgerufen hat. Wie begehen Sie das eigentlich in Israel?
Pater Nikodemus Schnabel: Das Jahr der Barmherzigkeit wird natürlich auch gefeiert. Es gibt eine Heilige Pforte in der Kirche der Nationen in Jerusalem selbst. Ich selber bin ja auch Seelsorger und sehe es auch als Chance, das Thema der Barmherzigkeit sehr konkret für das Heilige Land runter zu brechen. Ich glaube, die Botschaft der Barmherzigkeit ist auch eine Botschaft des Friedens. Wenn man den Politikern gerade zuhört - egal ob israelische oder palästinensische, oder auch radikalen Menschen - dann ist immer der andere der Fremde, das Bedrohliche, der Terrorist, der Besatzer. Ich glaube, dass in der Barmherzigkeit der Kern liegt, sich des anderen anzunehmen und sein Herz erweichen zu lassen. Darin sehe ich auch ein großes Friedensrezept, dass der andere nicht ein großes Monster ist, sondern auch Mensch und Sünder wie ich selber. Dieser Blick von Mensch zu Mensch ist vielleicht eine gute Haltung, die allen Bewohnern des Heiligen Landes gut tut.
domradio.de: Wichtig sind ja auch immer die Pilger für das Heilige Land. Man hat Bilder gesehen, dass jetzt deutlich weniger kommen. Ist das auch Ihr Eindruck?
Pater Nikodemus Schnabel: Das kann man sogar statistisch gut belegen. 2015 gab es gegenüber 2014 noch mal einen richtigen Einbruch - und 2014 war schon ein Katastrophenjahr, Stichwort Gazakrieg. Das bedeutet, wir haben ein ganz schwaches Jahr noch einmal unterboten. Die Kustodie der Franziskaner kann da sehr genau Buch führen, weil in Kafarnaum und in Galiläa sowohl Gruppen als auch Einzelpilger Eintrittskarten lösen müssen. Ich kann allen potentiellen Pilgern nur zurufen: "Kommen Sie." Es gibt keinen Grund, Angst zu haben. Das beste Argument ist, dass seit 1948 keinem Pilger etwas passiert ist. Ich sage gerne scherzhaft, dass Pilger heilige Kühe sind, die gerne gemolken aber nie geschlachtet werden. Da sind sich auch beide Seiten unausgesprochen einig. Touristen und Pilger sind wirklich tabu. Diese Messerstecherattacken, die es gab, sind ganz klar auf das, bitte verzeihen Sie meine Ausdrucksweise, "richtige" Opfer abgezielt. Pilger brauchen keine Angst zu haben.
domradio.de: Was ist Ihre größte Hoffnung für 2016 und Ihre größte Befürchtung?
Pater Nikodemus Schnabel: Meine größte Hoffnung ist wirklich, dass immer mehr Menschen, die momentan einfach indifferent gegenüber dem sind, was geschieht, jetzt aufstehen. Das spüre ich schon in der israelischen Zivilgesellschaft, die unglaublich gesund und aktiv ist. Wir spüren jetzt schon, wie viele uns bereits umarmen und sagen, ein Jerusalem ohne Christen sei nicht mehr ihr Jerusalem und ein Heiliges Land ohne Christen sei kein Heiliges Land mehr. Das Wahrnehmen des anderen und das Wahrnehmen des Leids des anderen ist meine Hoffnung. Und meine größte Befürchtung ist, dass diese kleine radikale Gruppe der Scharfmacher weitermacht und weiter Gift spritzt und dass dieses Gift in die Herzen der Menschen einsacken könnte.
Das Interview führte Mathias Peter.