domradio.de: Warum ist das so wo liegt der Zusammenhang zwischen Armut und Bildungschancen?
Holger Hofmann (Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks): Wir erleben, dass Familien, die es sich leisten können, sehr viel in ihre Kinder investieren, gerade im Bereich der Bildung. Das sind dann - so ist es jetzt auch wissenschaftlich festgestellt worden - rund 80 Euro pro Woche und Kind. Das ist doch eine ganze Menge und da erkennt man schnell: Natürlich kann sich das nicht jede Familie leisten. Sprich: Wir beobachten ganz aktuell, dass etwas sich vertärkt, das wir schon lange haben, nämlich, dass es auf der einen Seite Eltern gibt, die nicht mithalten können mit diesem Bildungssystem, also ihren Kindern nicht das Beste, was dafür notwendig ist, zu ermöglichen. Und auf der anderen Seite stehen eben Eltern, die sehr viel investieren und nochmal diese Schere weiter auseinandertreiben.
domradio.de: Wenn Sie sagen: 80 Euro die Woche werden ausgegeben für Kinder, was sind das dann für Sachen. Wir haben ja ein Schulsystem, da lernen Kinder was. Warum ist das denn noch so abhängig von der individuellen Förderung?
Hofmann: Alle Eltern, die selbst in der Situation stecken, wissen das. Es ist eben leider nicht mehr so, dass man sich nur auf Schule verlassen kann, beziehungsweise Schule eben alles kostenfrei anbietet. Da gibt es dann die Lehrmaterialien, die besorgt werden müssen, da gibt es die Fahrkarten für Schulausflüge, die selbst besorgt werden müssen. Dann ist vor allem auch die Nachhilfe zu nennen. Es wurde festgestellt, dass überraschenderweise gerade Kinder, die auf einer Note Zwei oder Drei stehen, auch schon Nachhilfe bekommen. Lassen wir mal dahingestellt, ob es denn notwendig ist, aber Eltern sagen sich: Bildung ist DER Schlüssel für mein Kind, dass es einen guten Beruf bekommt, dass es eine gute Entwicklung nimmt, und deshalb will ich auch bei einer Note Zwei oder Drei noch investieren, damit es noch besser wird. Andere Kinder, die eben eine schlechte Note haben, bekommen keine Nachhilfe und dann verstärkt sich die Schere.
domradio.de: Ein Teil des Reportes war eine respräsentative Umfrage, bei der haben sie unter anderem gefragt, was denn getan werden müsste, um den Kindern, die von Armut bestroffen sind, bessere Bildungschancen zu bieten. Was ist denn dabei herausgekommen?
Hofmann: Da gibt es ganz klare Antworten. Über 90 Prozent der Befragten sagen: Wir brauchen eine spezielle Förderung für die benachteiligten Kinder - schon in der Kita und dann auch in der Schule. Das hängt natürlich sehr stark mit einer ausreichenden Zahl von Erziehern und Lehrern zusammen. Die Befragten sagen: Wir brauchen ein aktuelleres Lehrmaterial. Hier scheint es nicht nur ein Defizit dahingehend zu geben, dass man vieles selbst besorgen muss, sondern, dass auch das, was vorhanden ist, veraltet ist. Insgesamt sagt ein Großteil der Befragten: Es darf nicht am Geldbeutel der Eltern scheitern, dass Kinder in ihrem Wohnumfeld Dinge nicht wahrnehmen können, wie den Eintritt ins Schwimmbad oder den Vereinsbeitrag. Das muss gesichert werden.
domradio.de: Vor allem Alleinerziehende sind betroffen von dieser Armut. Die haben Sie auch befragt. Was für Hilfen sind da vor allem auf der Wunschliste?
Hofmann: Bei den Alleinerziehenden ist es natürlich tatsächlich die Betreuungssituation, die eine ganz große Rolle spielt. Hier ist es wichtig, dass auch vor Ort eine Betreuung am Nachmittag möglich ist. Das muss ja nicht immer in der Schule stattfinden, sondern auch im Wohnumfeld, zum Beispiel durch Jugendeinrichtungen. Aber auch da erleben wir leider, dass diese Angebote entweder nicht mehr kostenfrei sind oder gar nicht mehr vorhanden sind, sprich, dass Jugendzentren und Jugendeinrichtungen dicht machen.
domradio.de: Was erwarten Sie von der Politik?
Hofmann: Wir erwarten von der Politik vor allem zwei Dinge: Zum Einen muss es endlich aufhören, dass Bund und Länder nicht zusammenarbeiten. Wir brauchen eine Harmonisierung. Das heißt, es darf nicht sein, dass man in dem einen Bundesland 100 Euro für Bildungsmaterialien zahlt, im anderen nur 50 Euro. Es darf diese Unterschiede nicht mehr geben, aber es muss natürlich auch inhaltlich möglich sein, dass die Kinder in der Schule dieselben Bedingungen vorfinden. Dazu müssen Bund und Länder stärker zusammenarbeiten. Und das Zweite ist: Es darf in einer Zeit, in der wir wirtschaftlich dazu in der Lage sind, nicht an der Jugendarbeit scheitern. Es wäre auch ganz falsch - gerade in einer Situation, wo wir erleben, dass wir besonderes Augenmerk auf die Flüchtlinge richten müssen - dann nicht in gleichem Maße auf die bedürftigen Kinder zu achten, die hier aufwachsen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.