Angesichts der prekären Lage der assyrisch-aramäischen Christen im Nahen Osten unternehmen deren zerstrittene Auslandsgemeinden einen historischen Versuch: Sie wollen die Spaltung überwinden und sich der Vertreibung gemeinsam entgegenstemmen. Der europäische Dachverband der Assyrer rief am Freitag den Weltverband der Aramäer auf, alle politischen und kulturellen Meinungsunterschiede hintanzustellen und zur Rettung der geschichtlichen Heimat zusammenzuarbeiten.
"Wir glauben, dass es jenseits unserer Differenzen über unsere Geschichte und Herkunft eine Kooperation geben muss, und rufen deshalb zu einem baldmöglichsten Treffen auf, für das es keine Vorbedingungen geben soll", hieß es in einem am Freitag veröffentlichten Brief der Assyrian Confederation of Europe an den World Council of Arameans (WCA). "Wir können und müssen uns zu bestimmten Themen einigen, um unsere Existenz im Land unserer Vorfahren zu stärken." Von dem so angeschriebenen Weltverband gab es am Freitag zunächst keine Stellungnahme.
Vertreibung aus dem Irak und Syrien
Die Aramäer und Assyrer, die sich in der eigenen Sprache als "Suryoye" bezeichnen, sind ein uraltes christliches Volk aus Mesopotamien. Ihr historisches Siedlungsgebiet ist auf das heutige Syrien, den Irak und die Türkei verteilt. Von den Massakern an den anatolischen Christen von 1915 bereits stark dezimiert, wanderten die allermeisten Suryoye in der Türkei im 20. Jahrhundert nach Europa aus, wo heute mehr als 90 Prozent von ihnen leben.
Aus dem Irak wurden die meisten Assyrer und Aramäer seit dem US-amerikanischen Einmarsch 2003 und zuletzt durch den "Islamischen Staat" vertrieben, aus Syrien seit Ausbruch des Bürgerkrieges vor fünf Jahren. In jüngster Zeit kommen die in Nordsyrien verbliebenen Suryoye unter Druck kurdischer Gruppen, die das Gebiet beherrschen. In der Türkei werden die letzten Suryoye derzeit zwischen kurdischen Rebellen und türkischen Sicherheitskräften zerrieben.
Identitätssuche führte zu tiefem Streit
In der europäischen Diaspora ist das Volk seit Jahrzehnten über die Frage von Namen und Identität tief zerstritten. Während die eine Seite die historischen Wurzeln im Assyrischen Reich betont, bezieht die andere Seite ihre Identität vom aramäischen Volk, dessen Sprache und Kultur die Suryoye bewahrt haben. Der Konflikt resultiert aus der schwierigen Identitätssuche der Suryoye, die sich im Osmanischen Reich lediglich als religiöse Minderheit verstanden und erst in der Diaspora ein eigenes ethnisches und nationales Bewusstsein entwickelten.
Die Spaltung zieht sich europaweit quer durch die Diaspora: Die meisten Gemeinden sind in je zwei Kulturvereine, Kirchen und Fussballvereine gespalten. In Deutschland, wo die größte Gemeinde türkischstämmiger Suryoye zu Hause ist, stehen sich der Bundesverband der Aramäer in Deutschland und der Zentralverband der Assyrer in Deutschland gegenüber, die jeweils mit den europäischen Dachverbänden kooperieren.