Deutscher Caritasverband fordert sprachliche Abrüstung in Flüchtlingsdebatte

"Sonst wird es gefährlich"

Kritik in der aktuellen Flüchtlingsdebatte erntet derzeit Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, der Deutschland unter einer "Herrschaft des Unrechts" sieht. Dies kontert der Deutsche Caritasverband im Interview und ruft zur "sprachlichen Abrüstung" auf.

 Horst Seehofer / © Marc Müller (dpa)
Horst Seehofer / © Marc Müller ( dpa )

domradio.de: Die CSU hat solche Begriffe wie die "Herrschaft des Unrechts" früher eigentlich m Bezug auf die DDR verwendet. Warum greift der CSU-Vorsitzende zu einer solchen Wortwahl?

Prof. Dr. Georg Cremer (Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes): Ich kann ja nur spekulieren. Die CSU hat immer schon eine sehr solide, bürgerliche Politik mit gelegentlichen verbalen Ausführungen verbunden, die stärker in den rechten Rand reichen. Möglicherweise will der CSU-Vorsitzende auch Menschen gewinnen, die sich jetzt in hoher Weise Sorgen machen oder die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnen. Ich sage ausdrücklich, dass Bayern ja alles mit einer völlig guten Aufnahmepolitik verbindet. Man leistet in Bayern alles, was notwendig ist, um Flüchtlinge aufzunehmen. Aber vermutlich liegt der Hintergrund in einer Bedienung bestimmter Teile der Bevölkerung, die dafür empfänglich sind.

domradio.de: Laut Umfragen glauben etwa 80 Prozent der Deutschen, dass die Bundesregierung bei der Flüchtlingskrise überfordert sei. Sie warnen vor einem Gerede vom Staatsversagen. Ist die Lage also besser als die Stimmung?

Cremer: Was heißt denn "überfordert" eigentlich? Wir haben eine hohe Zahl von Flüchtlingen. Wir haben diese absurde und inhumane Situation in Syrien. Das konnte niemand planen. Wenn man Krisen planen könnte, wären sie keine. Es ist doch in Deutschland alles getan worden, um mit dieser Situation zurechtzukommen. Es ist fast sogar so, dass wir manchmal Vorschläge diskutieren, die noch gar nicht ausgereift sind. Es gibt kein Staatsversagen. Es gibt vielleicht Dinge, die besser oder schlechter laufen. Ich warne davor, diesen Untergangsduktus zu bedienen, weil er letztlich der rechtspopulistischen Mobilisierung in die Hände arbeitet.

domradio.de: Man kann die Sache auch so sehen, dass die Sprache von Horst Seehofer ein Versuch ist, potentielle AfD-Wähler für sich zu gewinnen. Sind die nicht bei der CSU besser aufgehoben als bei der AfD?

Cremer: Es war lange die Politik der CSU, dass es keine Partei rechts von der eigenen geben durfte. Wir erleben jetzt leider eine Situation, bei der es sein könnte, dass genau dies geschieht. Dass diese Situation Parteistrategen umtreibt, verstehe ich. Aber ich finde es sehr gefährlich, von "Staatsversagen", von "Herrschaft des Unrechts" zu sprechen, weil ein wesentliches Ursachenelement des Rechtspopulismus das Gefühl ist, dass Politiker versagen, selbstsüchtig sind und nichts gebacken bekommen. Wenn die demokratischen Kräfte nun selber in diese Untergangssprache einmünden, dann geben sie solchen, eigentlich ja völlig unhaltbaren Beschreibungen von Politikern, noch zusätzliche Nahrung. Das ist gefährlich.

domradio.de: Auch in früheren Zeiten wurde heftig gestritten, denkt man nur an den legendären SPD-Fraktionschef Herbert Wehner. Warum schadet die Debatte, wie sie im Moment läuft, unserer Gesellschaft?

Cremer: Ich glaube, dass es zwei wesentliche Unterschiede zu den Zeiten von Herbert Wehner gibt. Das eine ist, dass sich die Akteure zu Zeiten Herbert Wehners sehr genau an das Scheitern der Weimarer Demokratie erinnert haben. Bei allen Konflikten, die es damals natürlich auch heftig zwischen CDU und SPD gab, wurde ein Konsens erzielt, dass Demokratie auch scheitern kann. Heute leben wir in dem Gefühl, dass Demokratie immer gefestigt ist und uns gar nichts passieren kann. Also müssen wir auch gar nicht achtsam sein. Meine Kritik richtet sich auch nicht - und das will ich ganz ausdrücklich sagen - nur an Parteipolitiker. Es gibt auch Kräfte der Zivilgesellschaft, die da zündeln. Wenn eine Sprache von einem "versagenden Staat" und der "heiligen Zivilgesellschaft" aufkommt, dann ist das unangemessen. Die ehrenamtlichen Helfer tun wahnsinnig viel, aber auch die Beamten, die Mitarbeiter der Landratsämter, der Kommunen, tun wahnsinnig viel. Und das ist der zweite Aspekt: Es findet eine tolle Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft statt und es gibt kein Staatsversagen. Das finde ich, sollten wir einfach einmal konstatieren. Natürlich kann man sich dann immer im Detail streiten. Das gehört bei einer Demokratie auch selbstverständlich dazu.

domradio.de: Was können Sie als Caritas tun, damit die Debatte wieder sachlicher abläuft?

Cremer: Wir bemühen uns als Caritasverband generell in unseren sozialpolitischen Stellungnahmen um Sachlichkeit, um Fairness, auch um Fairness gegenüber Sozialpolitikern, die das Geld nicht aus dem Hut zaubern können. Das ist unser ständiger Beitrag zu einer sachlichen politischen Debatte, selbstverständlich mit hohem Engagement. Ich sehe mit Sorge, dass der politische Diskurs einerseits an Schärfe gewinnt, aber andererseits viel zu wenig lösungsorientiert ist, weil alle Probleme immer gleich in einer Weise verbalisiert werden, als seien sie unlösbar. Das ist schädlich.

domradio.de: Immer wieder hört man, dass angeblich die Stimmung kippen würde. Die Caritas ist ja in der Flüchtlingshilfe engagiert und hat viele ehrenamtliche Helfer. Welchen Eindruck haben Sie?

Cremer: Ich kann ganz eindeutig sagen, dass das ehrenamtliche Engagement bei uns nicht zurückgeht. Vielleicht wird einiges an Schwierigkeiten bei der Integration klarer oder realistischer gesehen als am Beginn. Das muss aber gar nicht schädlich sein, denn Euphorie kann immer auch zum Kater führen. Wir spüren keinen Rückgang des ehrenamtlichen Engagements und damit wäre ich auch mit dem Bild, die Stimmung würde total kippen, sehr vorsichtig. Ich glaube nicht, dass das stimmt.

Das Interview führte Mathias Peter.


Quelle:
DR