"Wir haben die Pflicht, diese Menschen aufzunehmen", sagte Montenegro am Mittwochabend in Schöntal. Viele Frauen seien auf ihrer monatelangen Flucht mehrfach vergewaltigt worden, auch andere Geflüchtete seien oft stark traumatisiert. "Ein Zurückschicken ist keine Lösung", betonte der Kardinal bei der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz.
Montenegro kritisierte Wirtschaftsstrukturen im Welthandel ebenso wie multinationale Konzerne und sprach von einem "Meer der Ungerechtigkeit". Ohne spürbare Verbesserungen in den armen Ländern des Südens würden die Migrationsströme nicht beendet. "Niemand kann die Träume dieser Menschen aufhalten", so der Erzbischof des Bistums Agrigent im Süden Siziliens. Der Kardinal verwies darauf, dass die Flüchtlinge Schutz suchten vor dem sicheren Tod in ihren Heimatländern. Ihre einzige Chance auf ein Leben in Würde sei Europa. Wenn Europa sich dieser Aufgabe nicht stelle, sei es gescheitert.
Gemeinsame Suche nach Antworten
Angst vor den Flüchtlingen sei bei dieser Aufgabe der falsche Weg, betonte Montenegro, der auch italienischer Caritaspräsident ist. "Wir müssen zusammen eine Antwort geben." Europa habe Jahrzehnte gewartet, um Antworten zu suchen, kritisierte er. Schon in den 1950er Jahren sei ein Exodus aus Afrika von Experten prophezeit worden, und seit 20 Jahren finde er tatsächlich statt.
Der Erzbischof von Lampedusa schilderte vor der Deutschen Bischofskonferenz die Traumatisierungen von Flüchtlingen, die nach monatelanger Flucht durch Afrika von Schleppern in zunehmend unsicheren Booten aufs Mittelmeer geschickt werden. Oft gerieten die maroden Boote mittlerweile schon direkt vor der Küste in Seenot. Vor einigen Jahren hätten sie immerhin noch die italienische Insel Lampedusa erreicht. Wer nach Nordafrika zurückgeschickt werde, sterbe dort als Bettler, im Gefängnis oder auf dem Rückweg durch die Wüste.
Überraschende Erhebung zum Kardinal
Papst Franziskus hatte Montenegro vor rund einem Jahr überraschend in den Kardinalsstand erhoben. Denn normalerweise zählen die Erzbischöfe von Agrigent nicht zu den Kardinals-Anwärtern. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass Franziskus mit der Erhebung ein Zeichen setzen wollte: Zum Bistum gehört auch die "Flüchtlingsinsel" Lampedusa. Zudem zählt Montenegro zu den engagiertesten kirchlichen Fürsprechern von Flüchtlingen.
Die Deutsche Bischofskonferenz hatte Montenegro eingeladen, um beim Studientag am Mittwoch über die Situation auf Lampedusa zu berichten und seine Sicht der Dinge zu schildern. Am Donnerstag will die Bischofskonferenz Leitsätze zur christlichen Flüchtlingshilfe veröffentlichen.