Der Berliner Dienstsitz des Entwicklungsministeriums (BMZ) glich am Donnerstag dem Weltreligionstreffen von Assisi. Die Vertreter der Juden, Muslime, Christen, Taoisten, Juden, Buddhisten, Hindus, Bahai oder Konfuzianer hatten sich aber nicht zum Gebet eingefunden: Es ging um ihren Beitrag zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs), etwa den Kampf gegen Hunger oder Klimawandel.
"Nur gemeinsam mit den Religionen gelingt es uns, die Agenda 2030, diesen Weltzukunftsvertrag, umzusetzen", hatte Minister Gerd Müller (CSU) zum Auftakt der Konferenz bekräftigt. Dem dient das neue Strategiepapier "Religionen als Partner in der Entwicklungszusammenarbeit". Im Sinne von Hans Küngs Weltethos-Projekt will Müller die Potenziale der Religionen für die Entwicklungszusammenarbeit besser ausschöpfen. "Kein Friede unter den Nationen ohne Friede unter den Religionen", zitiert er den schweizerischen Theologen.
80 Prozent der Weltbevölkerung religiös
Rund 80 Prozent der Weltbevölkerung fühlen sich einer Religion zugehörig. In Subsahara-Afrika erbringen religiöse Organisationen einen erheblichen Teil der sozialen Dienstleistungen, in Ägypten sorgt eine koptische Organisation für die Alphabetisierung von Frauen, und in West-Darfur hilft "Islamic Relief" den Konflikt zu überwinden. Der ehemalige Vorsitzende dieser Organisation, Mohamed Ashmawey, erwähnte bei der Konferenz auch Projekte gegen Zwangsheirat oder häusliche Gewalt.
Die Zusammenarbeit mit den großen Kirchen geht bis auf die Gründung des BMZ zurück. Sie kann auf viele Erfolge verweisen, etwa in Lateinamerika oder Asien. Die Kirchen sind in den Ländern beheimatet und gern gesehene Projekt-Partner. Außerdem können sie Hilfe leisten, wo staatliche Entwicklungsagenturen nicht mehr hingelangen, etwa in Simbabwe, wie der Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor, Pirmin Spiegel, ausführte. Kirche könne bei Konflikten helfen, die "Gewalt zu entzaubern" und soziales Unrecht zu korrigieren.
Schwierigkeiten wurden diskutiert
In den Arbeitsgruppen kamen allerdings auch die Schwierigkeiten zur Sprache: Wenn etwa Religion zur Ideologie und zum "Opium für das Volk" wird, wie Spiegel ausführte. Dies dürfe nicht verschleiert werden. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sprach vom "Unfriedenspotenzial" durch den Missbrauch der Religion. Für Müller gilt in diesem Falle: "Wo Religion Teil des Problems ist, muss sie Teil der Lösung werden." Ziel der neuen Strategie ist es, durch das Fördern von moderaten Kräften langfristig Extremisten den Boden zu entziehen.
Wie aber verhält sich die Strategie zum Gebot staatlicher Neutralität? Deutsche Entwicklungspolitik sei "weltanschaulich neutral - sie ist allerdings nicht Werte-neutral", so Müller. Mazyek sprach mit Blick auf die Strategie von einem "schmalen Weg, der richtig und wichtig ist": Es ist der Weg zwischen einer religiösen Aufladung von Politik und einer Instrumentalisierung von Religion.
Dogmatische Inhalte sollen keine Rolle spielen, heißt es. Bedacht werden sollen aber nur jene Glaubensgemeinschaften, die den Kriterien des BMZ entsprechen.
"Netzwerk und Reichweite"
Sie müssen "Netzwerk und Reichweite" haben und menschenrechtliche Standards achten, einschließlich der "Nichtdiskriminierung, Chancengleichheit und Partizipation". Wie ist dies aber auf Religionsgemeinschaften zu beziehen? "Die Bewertung und Anwendung der Kriterien muss im jeweiligen Kontext erfolgen", heißt es allgemein.
Markus Büker, der Experte für theologische Grundsatzfragen bei Misereor, sah die Gefahr einer Vereinnahmung. Konflikte gebe es etwa bei den umstrittenen "sexuellen und reproduktiven Rechten" oder den Rechten von lesbisch-, schwul-, bi-, trans- und intersexuelle Personen. Ebenso kritisch bewertete er das Wachstumsparadigma der SDGs.
Religionen bescheinigt das Papier ein positives wie negatives Potenzial. Wer aber befindet darüber? Ein "Religions-Mainstreaming" sei nicht vorgesehen, beteuert das BMZ. Dennoch finden sich auch hier die Ambivalenzen zwischen einem bestimmten menschenrechtlichen Ansatz und dem Selbstverständnis der Religionen wieder - wie schon beim Weltethos-Projekt.
Ziel UN-Entwicklungsziele zu erreichen
Als Ziel formulierten die Konferenz-Teilnehmer, sich daran zu beteiligen, die UN-Entwicklungsziele bis 2030 zu erreichen. Der frühere Vorsitzende der größten muslimischen Hilfsorganisation Islamic Relief, Mohamed Ashmawey, sagte, jeder religiöse Mensch fühle sich seinen Mitmenschen verpflichtet. Diese den Religionen innewohnende Kraft könne dazu beitragen, die Entwicklungsziele zu erreichen.
Die Politikwissenschaftlerin He Yun, die sich in China für die Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften einsetzt, sagte, die Entwicklungsziele entsprächen den grundlegenden Überzeugungen und Handlungsaufträgen aller Religionen.
Die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel, sagte, die Konzentration von Reichtum bedeute im christlichen Verständnis eine Sünde. Die Güter der Erde seien Gemeingut und müssten geteilt werden. Diese Überzeugungen seien die Basis für die breite entwicklungspolitische Arbeit der Kirchen.
Nach der UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung sollen bis 2030 Armut und soziale Ungleichheit beseitigt und die Lage von Umwelt und Menschenrechten verbessert werden. Anders als die im Jahr 2000 beschlossenen Millenniumsziele, die 2015 ausliefen, gelten die UN-Nachhaltigkeitsziele nicht nur für Entwicklungsländer, sondern auch für Schwellen- und Industrienationen.