Von Sonntag an wird Kurienkardinal George Pell per Videoschaltung vor der australischen Missbrauchskommission aussagen. Im Mittelpunkt der mehrtägigen Befragung sollen Missbrauchsfälle im australischen Bistum Ballarat aus den 1970er Jahren stehen. Damals war Pell dort als Priester tätig und stand in freundschaftlichem Kontakt zu einem Priester, der inzwischen wegen Missbrauchs verurteilt wurde. Pell gehörte zum Beratergremium des Bischofs, bevor er selbst erst Weihbischof und später Erzbischof von Melbourne wurde.
Grund für die Aussage per Videoschaltung ist der Gesundheitszustand Pells, der deshalb nicht zur Aussage nach Australien reisen wollte. Die Kommission stimmte Anfang Februar einem entsprechenden Antrag des Kardinals zu, der seit Februar Leiter der zentralen Finanz- und Wirtschaftsbehörde im Vatikan und einer der einflussreichsten Mitarbeiter des Papstes ist.
Bunte Bänder am Zaun
In Australien wird seine Aussage, bei der es auch um das von ihm als Bischof entwickelte Verfahren "Melbourne Response" zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen gehen soll, mit Spannung erwartet. Sichtbares Zeichen dafür sind unter anderem zahlreiche bunte Bänder am Zaun der St.-Patrick-Kathedrale in Ballarat.
Sie sind Teil der sogenannten "Loud Fence"-Initiative und sollen an das dunkelste Kapitel der Diözese erinnern: den sexuellen Missbrauch durch katholische Priester und Mitglieder des Ordens Christian Brothers (CFC). Die Bänder seien keine Anklage, sagt eine der Initiatorinnen, Maureen Hatcher, sondern "Teil des Heilungsprozesses".
Lob von Öffentlichkeit
Unterstützt wird die Aktion auch vom Bischof von Ballarat, Paul Bird. Es sei selbstverständlich, dass er sich als einer der ersten Bischöfe Australiens beteilige, betonte er auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Die Bänder schaffen Bewusstsein für das Missbrauchsproblem und ermutigen zur Prävention von zukünftigem Missbrauch." Bird gab zudem an, er habe die Diözese "im Guten wie im Bösen" übernommen. Da sei es "angemessen", dass er bei Klagen von Missbrauchsopfern anstelle verstorbener Vorgänger als Beklagter zur Verfügung stehe.
Sowohl seitens der Kirche als auch von Betroffenen erhielt er dafür Lob. "Diese Art von Aktion wird im Laufe der Zeit dazu beitragen, die Glaubwürdigkeit der Kirche und das Vertrauen in sie wiederherzustellen", sagt der Vorsitzende des Rats für Wahrheit, Gerechtigkeit und Heilung der katholischen Bischofskonferenz, Francis Sullivan. Für Missbrauchsopfer Peter Blenkiron hat das Handeln Birds nach eigener Aussage Vorbildcharakter.
Crowdfunding für Opfer
Trotzdem ist der Unmut darüber, dass Pell nicht persönlich vor dem Ausschuss erscheinen wird, vor Ort groß. Im Vorfeld seiner Videoaussage am Sonntag in Rom riefen Missbrauchsopfer die Crowdfunding-Kampagne "Send Ballarat Survivors To Rome" ins Leben.
Medienberichten zufolge stellten fünf Spender umgerechnet insgesamt rund 131.000 Euro zur Verfügung, um zehn Betroffenen die Teilnahme an der Befragung Pells zu ermöglichen. Der Wunsch der Opfer, die Videobefragung Pells in Rom zu erleben, sei "nur angemessen", befand Richter Peter McClellan, Vorsitzender der Untersuchungskommission.
Pell unter Druck
Kardinal Pell steht unterdessen unter zunehmendem Druck. Vergangene Woche hatten australische Medien über Missbrauchsvorwürfe und Ermittlungen gegen ihn persönlich berichtet. Dies hatte Pell entschieden zurückgewiesen. "Die Anschuldigungen sind unbegründet und völlig falsch", hieß es in einer Erklärung aus dem römischen Büro des Kardinals. Zudem sei der Zeitpunkt der Veröffentlichungen eindeutig dazu bestimmt, ihm und der katholischen Kirche größtmöglichen Schaden zuzufügen.