Der Jesuit hatte 2010 die Aufdeckung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche angestoßen. Namentlich nannte Mertes im Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger" den Präfekten der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller. "Welche Konsequenzen hat er aus seinem Versagen als Bischof von Regensburg gezogen, wo er einen übergriffigen Pfarrer wieder zum Dienst zugelassen hat, der sich dann prompt erneut an Kindern vergangen hat?", fragte er. "Merkt er nicht, dass er heute als Verantwortlicher für die Strafverfolgung der Täter ein massives Glaubwürdigkeitsproblem hat?"
"Veränderungen für Prävention wichtig"
Es fehle immer noch die Bereitschaft, sich den System- und Strukturfragen zu stellen, kritisierte Mertes, der frühere Leiter des vom Jesuitenorden geführten Canisius-Kollegs in Berlin. Er verwies vor allem auf die Sexualmoral der Kirche und ihre Organisation der Machtzuteilung, "die nach wie vor männerbündig und von Intransparenz geprägt ist". "Veränderungen wären vor allem für die Prävention wichtig, umso mehr, als gerade die Kirche in Deutschland für Prävention seit 2010 sehr viel unternommen hat und ein gutes Stück weitergekommen ist."
Thema oscarprämierter Film "Spotlight"
Mertes, der das Jesuiten-Kolleg St. Blasien im Südschwarzwald leitet, äußerte sich aus Anlass der Oscarverleihung an den Film "Spotlight", der die Aufdeckung des Missbrauchsskandals im US-Erzbistum Boston durch Journalisten der Zeitung "Boston Globe" zum Thema hat. Im Unterschied zu dem amerikanischen Fall sei die Aufklärung des Missbrauchs am Canisiuskolleg der Jesuiten in Berlin 2010 ins Rollen gekommen, weil sich drei Exschüler an ihn gewandt hätten und er gesagt habe, "ich glaube euch, und ich frage in den ganzen Jahrgängen von damals nach, ob es noch mehr Betroffene gibt". Damit die Opfer ihr Schweigen brächen, sei Vertrauen entscheidend, betonte Mertes.