domradio.de: Welche Erinnerungen haben Sie an den 3. März 2009?
Dr. Joachim Oepen (Stellvertretender Direktor des erzbischöflichen Historischen Archivs in Köln): Im Grunde genommen sind meine Erinnerungen immer noch von der Fassungslosigkeit geprägt, die zunächst einsetzte als die ersten Nachrichten kamen. Fassungslosigkeit, weil man sich gar nicht vorstellen konnte, dass ein ganzes Archiv eingestürzt ist. Die ersten Überlegungen waren, ob da nicht vielleicht nur eine Wand zusammengestürzt ist. Aber nein, es hat sich dann leider sehr schnell die Gewissheit breit gemacht, dass der größte Teil des Archivs, der Magazinbau, der wichtigste Teil des Archivs, eingestürzt ist. Dann stellte man sich sehr schnell die Frage, wer denn unter den Trümmern begraben liegen könnte. Man darf ja nicht vergessen, dass in dem Archiv Kollegen gearbeitet haben. Da war zunächst die Rede von bis zu 30 Toten, Kollegen, die man aus dem Studium kennt und mit denen man teilweise freundschaftlich verbunden ist. Ein Professor der Bonner Universität war morgens noch bei uns im Historischen Archiv des Erzbistums und ist von da aus in das Stadtarchiv gegangen. Die Frage war, ob er noch lebte. Diese Frage musste man sich ganz banal stellen. Im Nachhinein ist es ein Wunder, dass von den Archivmitarbeitern und allen Personen, die sich im Archiv aufgehalten haben, keiner gestorben ist oder körperlich zu Schaden gekommen ist - auch von der Schule gegenüber nicht. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass es zwei Tote in den angrenzenden Häusern gegeben hat.
domradio.de: Trotzdem sind Sie dann aber nicht in eine Schockstarre gefallen, sondern Sie haben sehr schnell Amtshilfe für Ihre städtischen Kollegen geleistet. Unter anderem haben Sie sozusagen Kirchenasyl für tausende städtische Urkunden gewährt, oder?
Oepen: Genau. Wir sind in der Tat sehr schnell am nächsten Morgen zusammen mit Kollegen vom Landesarchiv NRW und dem Rheinisch-Westfälischen-Wirtschaftsarchiv an die Unglücksstelle vorgelassen worden, um dort aus den unzerstörten Gebäudeteilen Archivalien zu bergen. Damit waren zunächst nicht die Urkunden bei uns im Haus, aber es gibt die für mich noch sehr eindrückliche Erinnerung, dass wir an besagtem Morgen von hinten an die Unfallstelle herangekommen sind und diesen Kegel von Schutt und Archivalien gesehen haben. Da herrschte, weil weiträumig alles abgesperrt war, eine Totenstille. Über diesem Schuttkegel schien sich der Ikarus zu erheben, die Figur, die gegenüber auf der anderen Straßenseite am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium angebracht war. Das ist ein Bild mit ganz hoher Symbolkraft. Dieses Bild hat mich noch sehr lange begleitet. Die Übernahme der Urkunden kam erst ein paar Wochen später, als die Bergung schon in vollem Gange war. Das Historische Archiv, beziehungsweise man muss ja eigentlich das Erzbistum sagen, hat die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Die Überlegung war, die rund 60.000 Urkunden seit dem Jahr 927 bei uns einzulagern. Das sind ja unschätzbare Urkunden aus der Geschichte.
domradio.de: Urkunden werden in der Regel hängend archiviert. Wie haben Sie dieses Problem gelöst?
Oepen: Das war nicht so einfach. Als die ersten Überlegungen angestellt wurden, die Urkunden zu übernehmen, die in 140 gereinigten Müllcontainern angeliefert wurden, schloss sich direkt die weitere Überlegung an, wie die denn aufbewahrt werden sollen. Bei einer normalerweise erfolgten hängenden Aufbewahrung eignete es sich nicht besonders, die Urkunden nun in Regale abzulegen. In dieser Situation haben dann die Handwerker der Dombauhütte über Nacht eine Stillage gebaut, die dazu diente, schon einmal die ersten 10.000 Urkunden vorübergehend aufzuhängen.
domradio.de: Das sind ja alles nur vorübergehende Lösungen. Schauen wir einmal ganz vorsichtig in die Zukunft. Gibt es Pläne für ein neues Stadtarchiv?
Oepen: Da gibt es Pläne. Letztlich müssten Sie die Kollegen von der Stadt und vom Stadtarchiv fragen. Aber, soweit mir bekannt ist, wird am Eifelwall ein neues Stadtarchiv geplant und auch schon ansatzweise gebaut und soll im Jahr 2019 bezugsfertig sein.
Das Interview führte Verena Tröster.