Indem er diese in den Mittelpunkt seines Pontifikats stelle, bestätige er dieses zentrale Anliegen der Kirche, so Benedikt XVI. "Seine pastorale Praxis kommt gerade darin zum Ausdruck, dass er ständig von der Barmherzigkeit Gottes spricht." Nach seinem Amtsverzicht im Februar 2013 hatte Benedikt XVI. weitgehend auf öffentliche Auftritte und Stellungnahmen verzichtet.
Buch "Durch den Glauben"
Die Äußerungen des emeritierten Papstes finden sich in einem Buch des italienischen Jesuiten Daniele Libanori mit dem Titel "Durch den Glauben" (Per mezzo della fede). Es enthält die Beiträge eines theologischen Kolloquiums von Oktober 2015 zu Fragen der Rechtfertigungslehre in der Verkündigung der Kirche.
Bei dieser Konferenz hatte Erzbischof Georg Gänswein ein Interview von Benedikt XVI. mit einem nicht genannten Fragesteller verlesen.
Frage nach der Rechtfertigung
Darin geht der emeritierte Papst auch auf die von Luther und der Reformation gestellte Frage nach der Rechtfertigung ein. Heute spüre der Mensch nicht mehr die Notwendigkeit, dem Zorn Gottes über die eigenen Sünden zu entgehen, vielmehr spüre er die "Notwendigkeit von Gnade und Vergebung", so Benedikt XVI. "Für mich ist es ein Zeichen der Zeit, dass die Idee der Barmherzigkeit Gottes immer zentraler und dominierender wird." Die Menschen wüssten immer mehr, wie sehr sie die Barmherzigkeit Gottes bräuchten, gerade in der technisierten Welt, in der Gefühle nicht mehr zählten.
Ausdrücklich verweist Benedikt XVI. dabei auf die von Johannes Paul II. heiliggesprochene polnische Mystikerin Faustina Kowalska (1905-38), die die Sehnsucht des Menschen nach der Güte Gottes betont habe. In ihren Visionen äußere sich das Sehnen der Menschen von heute. Auf dieser Linie befinde sich auch Papst Franziskus mit seinem Einsatz für Barmherzigkeit, so Benedikt XVI.
Rückenstärkung hilft Papst Franziskus
Die Rückenstärkung durch seinen Vorgänger sei für Papst Franziskus eine große Hilfe, der wegen dieses Einsatzes mancher Kritik ausgesetzt sei, schreibt der Vatikanexperte Luigi Accattoli im "Corriere della Sera" (Mittwoch). Nicht wenige Katholiken hielten dem Papst vor, den Aspekt der göttlichen Gerechtigkeit, der Notwendigkeit von Buße und das Risiko der ewigen Verdammnis zu vernachlässigen und durch ein Gutmenschentum eine Schieflage zu schaffen.