domradio.de: Jan Böhmermann bezeichnet in seinem Gedicht in drastischen Worten als pädophil, als zoophil. Wie sehr verletzt Sie als Kölnerin mit türkischer Herkunft das?
Lale Akgün (ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete): Überhaupt nicht. Die Aussage, dieses Schmähgedicht würde alle Türken beleidigen, ist natürlich der Versuch, das Ganze noch mehr aufzublasen. Ich muss Ihnen sagen, ich sehe das sehr gelassen. Und ich sehe auch den Hintergrund, vor dem Herr Böhmermann das gemacht hat. Und ich finde, Herr Erdogan und die AKP sollten aufhören, ein ganzes Volk für die eigenen Interessen in Gefangenschaft zu nehmen.
domradio.de: Würden Sie sagen, das ist noch Kunst? Oder hat der ZDF-Satiriker da für Sie eine Grenze überschritten?
Akgün: Indem er dieses Schmähgedicht in einen Rahmen gestellt und vorneweg gesagt hat, er wolle den Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik klarmachen und das sei jetzt eine Schmähkritik, hat er klargemacht, dass das was er sagt, eigentlich eben nicht Satire ist. Und dadurch ist das für mich eine Performance. Ich finde es übrigens schade, dass diese Performance aus der ZDF-Mediathek entfernt worden ist, Öffentlich-Rechtliche sollten Mutiger sein. Er lacht auch beim Vortrag. So wie er das Gedicht vorträgt, ist es auch keine Spur obszön, es ist ein bisschen pubertär. So soll es wohl auch rüberkommen.
domradio.de: Als langjährige SPD-Politikerin und Bundestagsabgeordnete sind Sie Profi in Sachen Diplomatie: Was hätten Sie Erdogan geraten, wie er sich hätte verhalten sollen?
Akgün: Ich kann in solchen Fällen eigentlich nur das Verhalten des spanischen Königshauses als Vorbild hinstellen. Solche Dinge übersehen, überhören, gar nicht erst wahrnehmen. Damit fährt man, glaube ich, am allerbesten.
domradio.de: Sehen Sie denn jetzt etwas Wackliges in der Beziehung zwischen Berlin und Ankara? Besteht zum Beispiel eine Gefahr, dass der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei ins Wanken gerät?
Akgün: Die Aussage, man würde mit der Türkei und nicht mit Erdogan kommunizieren ist deshalb ein wenig auf wackligen Füßen, weil aus der Türkei inzwischen wirklich ein Tayyipistan geworden ist. Tayyip ist ja der Vorname von Herrn Erdogan. Er bestimmt alles. Ich muss sagen: Wer mit einem Partner wie Erdogan verhandelt, der muss wissen, dass alles auf wackligen Füßen steht. Herr Erdogan ist unberechenbar und in seiner narzisstischen Überheblichkeit kann er eigentlich alles in Frage stellen. Dieser Vorfall mit Herrn Böhmermann ist eigentlich nur ein Symptom für die Unzuverlässigkeit von Herrn Erdogan und dadurch die Unzuverlässigkeit aller Deals, die man mit der Türkei eingeht.
Das Gespräch führte Verena Tröster.