Pfarrer Meurer sieht in "Amoris Laetitia" Lehre und Barmherzigkeit vereint

Aus der Perspektive des Schuhputzers

Mehr Verantwortung für die Seelsorger: Das ist Franziskus wichtig, auch in seinem nachsynodalen Schreiben "Amoris Laetitia". Der Kölner Pfarrer Franz Meurer erzählt im domradio.de-Gespräch, warum der Papst selbst für ihn ein Seelsorger ist.

Pfarrer Franz Meurer / © Witte (DR)
Pfarrer Franz Meurer / © Witte ( DR )

domradio.de: Spricht Ihnen der Papst aus dem Herzen mit mehr Verantwortung für die Priester?

Pfarrer Franz Meurer (Pfarrer in den Kölner Stadtteilen Höhenberg und Vingst): Ja, mir hat ja schon Papst Benedikt XVI. aus dem Herzen gesprochen. Denn ein Kind hat ihn gefragt: Wie viel Wege zu Gott gibt es? Und da hat der gesagt: So viele wie es Menschen gibt. Das ist ja nicht nur mehr Verantwortung für die Priester, sondern es wird - glaube ich - allen deutlich gemacht: Liebe braucht Verantwortung. Wobei, das Schöne ist, dass der Papst endlich mal deutlich macht wie schön die Liebe ist - auch die körperliche Liebe. Dass man also nicht mehr Angst haben muss als Christ, dass man einen großen, wichtigen Teil seines Lebens unter der Bettdecke verstecken muss. So kommt das bei den Leuten an. Die sind also froh.

domradio.de: Drückt der Papst also vielleicht aus, was eh schon Praxis ist?

Pfarrer Meurer: Es ist schon immer Praxis von den Menschen her zu denken. Der Papst hat ja gesagt: Die Wirklichkeit kommt immer vor der Idee. Oder vom Papst wird gesagt: Er guckt auf die Welt aus der Perspektive eines Schuhputzers. Das heißt, Seelsorgerinnen und Seelsorger müssen sich immer mit den Menschen identifizieren. Wenn ich jetzt am nächsten Samstag nicht aus der Perspektive der Kommunionkinder auf die Welt gucke - also jedes Kind ist mehr wert als alles Gold der Welt - dann hören die Kinder weg und kommen erst gar nicht. Wenn wir das aber machen - wenn wir nicht meinen, aus unserer Perspektive die Welt sehen zu können, sondern: wir haben einen Blick von vielen - dann sind wir doch da, wo Jesus war. Jesus ist doch Mensch geworden, um aus unserer menschlichen Sicht auf das Leben zu schauen.

domradio.de: Wie verstehen Sie denn das Zusammengehen von Barmherzigkeit und Lehre? Das ist ja das, wo die meisten mit Argusaugen nach Rom geguckt haben: Wie der Papst da die Streitfragen löst. Wie verstehen Sie das, was der Papst geschrieben hat?

Pfarrer Meurer: Also meine Meinung ist: Das ist immer typisch deutsch. Wir wollen immer, dass uns einer sagt, wie es ist. Normen sind aber dazu da, eine Richtung anzugeben. Normen sind dazu da, nach Möglichkeit umgesetzt zu werden. In jeder Messe bekennen wir sieben Mal unsere Schuld. Dass wir unseren Normen also nicht nachkommen: "Kyrie eleison", "Herr ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach" noch kurz vor der Kommunion. Also dass Barmherzigkeit und Gesetz keine Gegensätze sind, sondern sich ergänzen müssen, wissen wir doch schon seit Augustinus. Barmherzigkeit ohne Gesetz ist Anarchie, Gesetz ohne Barmherzigkeit ist Diktatur, das zum Beispiel ist da zu lesen. Also macht der Papst eigentlich was ganz Traditionelles. Er hat jetzt nur noch mal in den Mittelpunkt gerückt, dass er selber Seelsorger ist. Das ist ja vielleicht das Besondere. Wir haben jetzt einen Seelsorger-Papst. Der will die Familien stärken. Er war ja mal ein Jahr lang wirklich, könnte man fast sagen, spirituell depressiv, weil er gemerkt hat: Ich muss auch mein Leben ändern. Also im letzten ist es eine ganz fromm spirituelle Erfahrung und nicht nur eine normative gesetzliche, die uns dieses neue Schreiben schenkt.

domradio.de: Sie sind ja sozusagen an der Basis, an der Praxis jeden Tag vor Ort. Wenn der Papst so etwas sagt, wie: Keine Diskriminierung von homosexuellen Paaren, aber auch keine Gleichstellung. Individuelle Beurteilung der Einzelfälle bei wiederverheirateten Geschiedenen, aber keine grundsätzliche Sakramentszulassung. Wie gehen Sie damit um in der Praxis?

Pfarrer Meurer: Ja, eins ist klar: Wir müssen die Frage der Homosexualität demnächst noch besser lösen. Ich kann aber verstehen, dass Christen in Afrika oder in Südamerika nicht so weit sind. Wir wissen hier in Deutschland - zum Glück - es gibt super homosexuelle Paare, die in Treue Leben. Das kann man nicht weg diskutieren. Da wird sich die Kirche auch ganz sicher weiterentwickeln. Aber ganz wichtig ist: Wenn man ein Ziel hat, ist nicht wichtig, wie groß die Schritte sind, sondern ob die Richtung stimmt. Und die Richtung stimmt beim Papst. Und in der Praxis gibt es doch nur eins: Wenn man jetzt acht Kinder hat und das neunte kommt und man lebt von Hartz 4 und der Herr Gott sagt nicht 'Du musst verhüten', dann stimmt irgendetwas nicht.

domradio.de: Und wie gehen Sie dann damit um?

Pfarrer Meurer: Ganz einfach: Ich habe natürlich auch schon mal einer ganz armen Mutter Verhütungsmittel bezahlt, weil es die Krankenkasse nicht bezahlt hat. Das hätte der Papst doppelt so oft getan, weil der wahrscheinlich mehr Einsatz bringen wird als ich. Das heißt, wir haben doch eine völlig andere Realität. Es ist ein Unterschied, ob ich jetzt fett im Fleische lebe, mit zwei Gehältern, mit einer ausreichend großen Wohnung oder wie die Familie, die vorherige Woche bei uns in der Tageszeitung war: Sieben Kinder, 82m², beide arbeiten fleißig. Aber in unserer Stadt gibt es zum Beispiel für Kinderreiche einfach keine Wohnungen. Solche Fragen werden dann plötzlich virulent, wie weit wir Christen in der Lage sind, uns da einzusetzen.

 

Das Gespräch führte Matthias Friebe. Das Gespräch ist Teil unserer Themen-Sendung "Die Freude der Liebe". Unter dem unten angelegten Audio-Link können Sie die gesamte Sendung nachhören.


Quelle:
DR