Wenn Alois und Margarete Payer nicht gerade auf Reisen sind, gehen sie jeden Tag in die Kirche. Dabei sind der 72-Jährige und seine 74 Jahre alte Frau weder Pfarrer noch Kantoren von Beruf. Seit mehr als 30 Jahren wohnt das Ehepaar in einer ehemaligen Kirche in Baden-Württemberg. Die beiden Theologen suchten ein Zuhause mit reichlich Platz für ihre 40 000 Bücher - das Gotteshaus in Ofterdingen hatte ausgedient und stand zum Verkauf.
Die Payers sind in Deutschland kein Einzelfall. Während im Norden Deutschlands schon Pizzerien und Diskotheken in Kirchen einziehen, sucht man im Süden bislang nach anderen Wegen.
Verkauf ist Ultima Ratio
"Einige Kirchen stehen in Ortschaften, in denen der letzte Bäcker und der letzte Metzger ihre Geschäfte schon vor der Jahrtausendwende dichtgemacht hatten", sagt Robert Eberle, Sprecher der Erzdiözese Freiburg. "Der Verkauf oder Abbruch eines nicht mehr zu nutzenden Kirchengebäudes ist in der Regel Ultima Ratio." Vorher werde geprüft, ob das Gebäude für kirchliche Jugendarbeit, Altenpflege, Caritas oder Diakonie genutzt werden könne.
Bundesweit mussten seit Anfang des 20. Jahrhunderts rund 350 katholische Kirchen profaniert, sprich für einen Abriss oder eine Umnutzung entweiht werden, wie Matthias Kopp, der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, sagt. Nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) verschwanden zwischen 1990 und 2011 bundesweit 82 Kirchen durch Abriss. Mehr als 200 evangelische Gotteshäuser fanden einen neuen Besitzer oder eine andere Nutzung, etwa als Bildhaueratelier, Veranstaltungszentrum oder Museum.
Rund 350 katholische Kirchen profaniert
Bei der Neuapostolischen Kirche Süddeutschland stehen derzeit 32 Gebäude leer, 14 davon stünden kurz vor dem Verkauf, sagt Sprecherin Susanne Raible. Seit 2013 seien insgesamt 60 Kirchen verkauft worden, drei Gotteshäuser habe die Kirche selbst abgerissen und Wohnhäuser gebaut. Die Häuser werden auch vermietet: In einem Gebäude in Waldenbuch etwa kommen Flüchtlinge unter, ein anderes ist an das Stuttgarter Jugendhaus vermietet.
Familie Payers Zuhause gehörte einst der neuapostolischen Kirche. Hier gab es zu viele Mitglieder, weshalb eine größere Kirche gebaut und die ältere verkauft wurde. Für 250.000 Mark (127.823 Euro). Die Wohnung wirkt riesig, mit den etwa elf Meter hohen Decken, den über 200 Quadratmetern Wohnfläche ohne Wände und den beiden Emporen. Eine davon haben die Payers selbst gebaut - wo früher der Altar stand, über dem sie jetzt schlafen.
Mit Kettensäge ging es an die Sitzbänke
Als das Paar 1982 in die Kirche zog, zerkleinerte Alois Payer mit der Kettensäge die Sitzbänke und baute daraus Bücherregale. Sie durchziehen heute in langen Reihen den ganzen Kirchensaal. Die Marder, die nachts im Kirchendach herumrannten, vertrieben der Kater und laute Musik von Wagner. Die bunten, aber zugigen Fenster ersetzten die neuen Bewohner durch Milchglas, gegen die Kälte schafften sie einen großen Kachelofen an.
"Natürlich könnten Kirchengebäude auch auf neue Weise zu Orten des Lebens und der Freizeit werden", meint Eberle vom Erzbistum Freiburg. So seien beispielsweise für ein Indoor-Kletterzentrum kaum Einbauten nötig, was auch der Denkmalpflege zugute komme. Schließlich sei alles umkehrbar - auch für den Fall, dass ein Sakralgebäude irgendwann wieder zur Kirche werde.