Man wolle dabei vorhandene "Ängste in Besorgnis umwandeln", sagt ZDK-Präsident Thomas Sternberg.
Evangelischer Pressedienst (epd): Für den 100. Katholikentag hat sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken eine Stadt im Osten Deutschlands ausgesucht. Was erwarten Sie?
Thomas Sternberg: Ich bin froh, dass dieser Jubiläumskatholikentag in einer so anderen Umgebung als der erste im Jahr 1848 in Mainz stattfindet. Wir kommen in eine Stadt, die für Katholiken immer schon Diaspora gewesen und heute in großen Teilen ganz ohne Glauben ist: 4,3 Prozent Katholiken, insgesamt knapp 20 Prozent Christen. Leipzig ist eine Stadt, in der die Menschen vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben - wie der Theologe Karl Rahner es einmal ausdrückte.
epd: Wie hat sich das auf das Programm ausgewirkt?
Sternberg: In einem Programmsegment unter dem Motto "Leben mit und ohne Gott" laden wir Nicht-Glaubende in der Innenstadt zum Gespräch ein und zum Schnuppern am Angebot des Katholikentags, niederschwellig und kostenlos.
epd: "Pegida", "Legida" und andere fremdenfeindliche oder rechtsextreme Bewegungen haben auch Leipzig in die Schlagzeilen gebracht. Wie geht der Katholikentag damit um?
Sternberg: Flüchtlinge und der Dialog mit dem Islam sind zwei ganz wichtige Themenkomplexe. Allerdings warne ich auch davor, Leipzig und Sachsen nur als Hort des Rechtsradikalismus darzustellen, da sollte man sich vor Pauschalisierungen hüten. "Legida" zum Beispiel ist eine ganz kleine Bewegung. Natürlich sind die AfD und Rechtspopulismus ständig präsent. Deshalb wollen wir uns vor allem mit den Sachfragen beschäftigen, die die Menschen dazu bringen, den Parteien in diesem Staat nicht mehr zuzutrauen, dass sie die Probleme in den Griff bekommen.
epd: Welche Sachfragen sind das?
Sternberg: Zum Beispiel der Umgang mit Flüchtlingen, Ängste vor Überfremdung, die Sorgen vor einer Verdrängung bei bezahlbarem Wohnraum und Arbeitsplätzen, das Zusammenleben von Christen und Muslimen.
epd: Welchen Beitrag kann der Katholikentag da leisten?
Sternberg: Darüber sprechen und informieren mit dem Ziel, Ängste in Besorgnis umzuwandeln. Und wichtig sind Begegnungen, damit das Thema nicht nur über den Kopf läuft.
epd: Am Tag vor der Eröffnung will die Vollversammlung des ZdK die Erklärung "Religion und Gewalt - Christen und Muslime als Anwälte des Friedens" verabschieden, in der sich Christen und Muslime gegen religiös motivierte Gewalt aussprechen. Warum ist das wichtig?
Sternberg: Wir müssen mit den islamischen Gemeinden gegen die Pervertierung des Islam durch Terrorismus vorgehen. Es gibt die Vorwürfe, der Islam sei grundsätzlich gewaltbereit und die Gewalt, die von den Taliban und dem IS ausgeht, sei dem Islam inhärent. Das ist nicht so. Und ich bin absolut sicher, dass die weitaus größte Mehrheit der Muslime in Deutschland die Gewalt ablehnt. Auch im Islam ist für Selbstmordattentäter der unterste Kreis der Hölle vorgesehen und nicht das Paradies.
epd: Beim Katholikentag kommen auch viele Politiker zu Wort. Vertreter der AfD wurden aber bewusst nicht eingeladen. Warum?
Sternberg: Den Beschluss habe ich übernommen. Man kann das auch anders sehen. Aber ich denke, es ist richtig, mit den Leitfiguren der AfD nicht über Flüchtlingsarbeit zu diskutieren, weil ihre Positionen sich so stark unterscheiden von dem, was wir für richtig halten, dass eine Zusammenarbeit schwierig ist. Die AfD selbst hat natürlich ein großes Interesse, in den Medien zu sein. Und ich warte ab, ob diese Truppe und Sammelbewegung zu einer ernsthaften Partei werden kann. Ich sehe das nicht.
epd: Die AfD sieht sich selbst aber als christlich fundiert. Sie nicht?
Sternberg: Ich sehe in der AfD überhaupt nichts Christliches. Was sie zum Beispiel über den Islam schreibt, ist völlig anti-christlich. Es geht nicht darum, irgendein christliches Abendland zu retten, sondern darum, das Christliche im Abendland zu retten. Das sind Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe und ein scharfer Antinationalismus, in dem die Menschen alle gleich sind vor Gott.
epd: Im Programm des Katholikentags findet sich wenig zur Familiensynode, dem päpstlichen Schreiben "Amoris laetitia" und den Folgen. Ist das in Deutschland kein Thema mehr?
Sternberg: Das päpstliche Schreiben kam Anfang April zu spät für das Programm. Doch die Themen werden bei den Podien zu Familienfragen eine Rolle spielen. Zum Beispiel die Abkehr von allgemein gültigen Rechtsgrundsätzen hin zu Einzelfallentscheidungen in der Frage der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene. Soll die Entscheidung beim einzelnen Pfarrer liegen oder beim Bistum?
epd: Was denken Sie persönlich?
Sternberg: Es ist gut, dass das Schreiben nun die Praxis, die schon längst existiert, legitimiert. Aber das wunderbare Schreiben "Amoris laetitia" geht ja weit darüber hinaus. Es ist eine Wiederannäherung der kirchlichen Sexual-Moral an die Praxis der Gläubigen. Die hatten ja praktisch nichts mehr miteinander zu tun, das war auch für die katholischen Ehe- und Familienberatungsstellen schwierig, weil sie etwas vertraten, was nicht päpstliche Lehre war. Das ist jetzt anders.
epd: Andere Themen wie sexueller Missbrauch, die Beteiligung von Frauen in Führungspositionen und der Dialogprozess zwischen Bischöfen und Laien finden sich eher wenig im Programm. Wollen Sie Streit vermeiden?
Sternberg: Nein. Und der Dialogprozess spielt eine ganz große Rolle mit der Frage: Wie gehen wir mit dem Wunsch des Papst nach einer synodalen Kirche um? Er sieht die Gläubigen als die an, mit denen gemeinsam Kirche verwirklicht werden muss. Um den Missbrauch ist es derzeit ruhiger geworden, da gibt es keinen Anlass für ein Großpodium. Es ist ganz richtig von der Kirche, das mit großer Offenheit und Klarheit zu behandeln.
epd: Wie steht es mit der Ökumene? In der Vorbereitung zum 500. Reformationsjubiläum 2017 gab und gibt es offizielle Treffen und Vereinbarungen. Interessiert das die katholische Basis?
Sternberg: Ja. Die Vorbereitungen waren eher noch eine evangelische Sache, aber 2017 wird das anders sein. Heute hat die Ökumene eine große Selbstverständlichkeit, in politischen Fragen ebenso wie in den Gemeinden.
epd: Aber die Basis könnte ja auch denken: Wir arbeiten eh schon gut zusammen in unseren Gemeinden.
Sternberg: Ich bin weit davon entfernt, zu glauben, das wäre alles so normal, dass man sich nicht darum kümmern müsste. Ich habe die Befürchtung, dass man vor lauter Begeisterung über das Erreichte und angesichts des anstehenden Dialogs mit dem Islam den ökumenischen Dialog nicht ernst genug nimmt. Aber es gibt noch Aufgaben und Möglichkeiten.
epd: Welche?
Sternberg: Zum Beispiel die Frage, wie man sich wahrnimmt. Und auch große theologische Fragen wie das Abendmahl werden weiter zu diskutieren sein. Auch wenn die örtlichen Gemeinden die wichtigste Frage - Kommunion für konfessionsverbindende Ehen - meist schon gelöst haben.
Das Interview führte Wiebke Rannenberg.