Sie rufen die Gläubigen zu Gebet oder Gottesdienst: Muezzin und Kirchenglocke. Für die Alternative für Deutschland (AfD) ist klar: Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, auch nicht der Ruf des Muezzins. Dieser dürfe nicht die Selbstverständlichkeit wie das Geläut von Kirchenglocken haben, hatte der Co-Sprecher der AfD, Jörg Meuthen, auf dem Bundesparteitag gesagt. Aber ist das Geläut in den Kirchtürmen des christlichen Abendlandes so selbstverständlich?
Nicht unbedingt, denn Beschwerden aufgebrachter Nachbarn von Kirchen haben hier und da Gerichte beschäftigt - nicht nur in Deutschland. Kürzlich im österreichischen Linz: Der Oberste Gerichtshof wies Mitte Mai endgültig die Klage eines Mannes ab, den der nächtliche Schlag der Domglocken alle 15 Minuten um den Schlaf bringt.
Streit vor Gerichten um Glockenschläge
Auch die deutsche Justiz hat häufig Klagen gegen Stundenschlag oder Glockengeläut abgewiesen. Diejenigen, die sich beschweren, pochen oft auf ein Recht auf negative Religionsfreiheit - also das Recht, kein religiöses Bekenntnis abzulegen. In Baden-Württemberg betonten im Jahr 2011 Richter, dass dem das "gleichermaßen geschützte" Grundrecht der ungestörten Religionsausübung inklusive Geläut gegenüberstehe.
Das besagte Grundrecht findet sich in Artikel 4 des Grundgesetzes: "Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." Unverletzlich ist demnach die "Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses". Auf die Religionsfreiheit beziehen sich auch manche AfD-Kritiker, wenn von Muezzinruf- oder Minarettverbot die Rede ist.
Zwist wegen Muezzinrufen
Handfester Streit entbrennt freilich nicht nur um Glocken, sondern auch um Muezzinrufe. Etwa im schleswig-holsteinischen Rendsburg: 2010 erlaubte die Stadt dem Islamischen Zentrum nach Debatten mit einer Bürgerinitiative, an den Minaretten Lautsprecher zur Übertragung des Rufs mit einer Lautstärke von rund 40 Dezibel anzubringen. Basis war ein rechtswissenschaftliches Gutachten.
Es herrschen verschiedene Ansichten: Kürzlich erklärte das Deutsche Glockenmuseum im nordrhein-westfälischen Gescher, dass Ruf und Läuten nicht gleichgesetzt werden dürften. Während Glocken "akustisch wahrnehmbar keinerlei explizite weltliche oder religiöse Aussage" machten, sei der Ruf "eine zudem noch politisierbare apodiktische Aussage mit exklusivem Absolutheitsanspruch auch gegenüber Dritten".
Glocke als "die Stimme Gottes"
Die Glocke sei "die Stimme Gottes", sagt Michael Plitzner, Theologe, Ingenieur und Glockenexperte an der Hochschule Kempten. Sie habe zusätzlich den zeitlichen Aspekt - den Stundenschlag - und sei ein Instrument. Das Läuten sei vielschichtiger, dem Muezzinruf aber vergleichbar als Rufer zum Gebet. Streitigkeiten um das Geläut spiegeln für Plitzner die Situation, in der sich unser Wertesystem befinde. Allerdings: "Sicher kann man es auch übertreiben, was die Läutstärke angeht. Man kann auch den Unmut der Leute auf sich ziehen."
Dieser Meinung ist auch Claus Peter. Er könne es mitunter verstehen, wenn sich Menschen wegen der Lautstärke einer Glocke beschwerten, denn: "Musik wird nicht durch Lautstärke besser." Manchmal wolle selbst der "Glockenfreund" weglaufen, so der Glockensachverständige für das Landesamt für Denkmalpflege in Münster und die evangelische Kirche. Bei Beschwerden könne man den Stundenschlag leiser ein- oder komplett abstellen. "Das sind aber alles Einzelfälle."
Unanfechtbarkeit von liturgischem Läuten
"Liturgisches Läuten ist unanfechtbar, anders ist es mit dem Stundenschlag", betont Peter. Wie laut Geräusche in Wohn- und anderen Gebieten sein dürften, sei in der "Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm" festgelegt.
Mit Blick auf die Debatte über den Muezzinruf sagt Peter, dass vielen Menschen eine Orientierung fehle, daher gebe es auch religiöse Ignoranz. "So einer Klientel ist nicht bewusst, dass unsere Kultur nicht einfach vom Himmel gefallen ist." Wenn mehr Menschen darin gefestigt wären, würde die Debatte nicht mit so einer Vehemenz geführt.
Das Islam-Lexikon des Herder-Verlags hält übrigens fest, dass das Vorbild der Einrichtung des muslimischen Gebetsrufes das Glockengeläut beziehungsweise die Holzklappern christlicher Kirchen und Klöster gewesen sein sollen.