Warum das Panorthodoxe Konzil auf Kreta scheitern könnte

Aufbruch oder Absage?

Das Panorthodoxe Konzil auf Kreta sollte eigentlich der Einheit der 14 eigenständigen orthodoxen Kirchen dienen. Nun droht es zu scheitern. Der Theologe Dr. Johannes Oeldemann erklärt die Hintergründe der Krise und mögliche Folgen einer Absage.

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I (KNA)
Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I / ( KNA )

domradio.de: Die Spekulationen um ein Scheitern, bevor es auf Kreta überhaupt losgeht – warum droht seit Tagen die Absage?

Dr. Johannes Oeldemann (Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn): Weil es so unterschiedliche Erwartungen an dieses Konzil gibt und vor allen Dingen, weil es innerhalb der einzelnen orthodoxen Kirchen massive Flügelkämpfe gibt zwischen denjenigen, die eine sehr traditionalistische Auffassung der orthodoxen Kirche vertreten und denjenigen, denen daran liegt, die orthodoxe Kirche doch für die Moderne aufzuschließen und einen Weg zu finden, wie sie sich im 21. Jahrhundert positionieren kann.

domradio.de: Über Jahrhunderte hat es kein Konzil gegeben, nur kleinere lokale Synoden. Wenn man solange ohne ein Konzil oder überregionale Synode ausgekommen ist – warum gibt es dann jetzt eine Synode und warum wäre das schlimm, wenn sie ausfiele?

Dr. Oeldemann: Es soll jetzt eine Synode geben, weil sich natürlich die Situation in den letzten Jahrhunderten geändert hat und es einige Fragestellungen gibt, auf die dringend eine Antwort gefunden werden muss. Zum Beispiel geht es darum, wie man die Kirchenstrukturen in der Diaspora – also in Gegenden, wo orthodoxe Christen eine kleine Minderheit sind – organisiert. Denn die orthodoxe Kirche ist ja heute nicht nur in Osteuropa und im Nahen Osten beheimatet, sondern praktisch auf der ganzen Welt. Dass es solange kein Konzil gegeben hat, hat viel mit äußeren Faktoren zu tun. Zum Beispiel mit der langen Herrschaft des Osmanischen Reiches, in dem die Orthodoxen nicht frei waren, so etwas zu organisieren. Oder im 20. Jahrhundert war eine solche Versammlung zu Zeiten der Sowjetunion und dem kommunistischen Regime nicht so ohne weiteres möglich. Der Weg für ein Panorthodoxes Konzil hat sich erst ab den 1990er Jahren geöffnet, obwohl man schon in den 1960er Jahren begonnen hatte, es vorzubereiten.  

domradio.de: In der Katholischen Kirche sagt im Zweifelsfall der Papst, wo es langgeht. Er ruft auch ein Konzil oder zumindest eine Synode ein. Warum gibt es diesen starken Mann, der so etwas beschließen kann, nicht in der Orthodoxen Kirche?

Dr. Oeldemann: Weil genau diese Frage umstritten ist - welche Funktion hat nun der Ehrenprimas der Orthodoxen Kirche - das ist der ökumenische Patriarch von Konstantinopel - und wie viele Kompetenzen hat er? Man hat alle Beschlüsse im Vorfeld des Konzils immer nur im Konsens bei einer gemeinsamen Versammlung der Führungsspitzen aller 14 Kirchen getroffen. Der Patriarch von Konstantinopel hat zwar formal zu dem Konzil eingeladen, aber eben nur in Absprache mit den anderen Patriarchen und Erzbischöfen, die ihren Kirchen vorstehen.

domradio.de: Dann schauen wir auf das Konzil, so es denn kommen sollte. Sechs Dokumente sollen beraten werden. Vier beschäftigen sich mit innerkirchlichen Themen. Dann gibt es zwei Dokumente zur Mission und dem Verhältnis der orthodoxen Kirche zur übrigen christlichen Welt. Es gibt orthodoxe Vertreter, die sehr kritisch zur Ökumene und speziell zur Katholischen Kirche stehen und sie als "Häretiker" ansehen. Wie umstritten ist Ökumene innerhalb der Orthodoxie?

Dr. Oeldemann: Der Hauptstreitpunkt ist, wie man aus orthodoxer Sicht die anderen christlichen Kirchen bewertet. Sind das "Häretiker", wie Sie gesagt haben, also von der wahren Glaubenslehre abgefallene Christen, sind das "Schismatiker", die sich einfach nur von der Kirchenstruktur getrennt haben, obwohl man im Glauben noch übereinstimmt? Das Problem ist, dass diejenigen, die die anderen Kirchen nur durch die Brille "Häretiker" oder "Schismatiker" sehen, ihr Urteil treffen auf Grundlage von kirchlichen Canones, die aus den ersten Jahrhunderten nach Christus stammen und natürlich nicht mehr unsere gesellschaftliche und kirchliche Realität im 21. Jahrhundert widerspiegeln. Die Grundfrage wird sein, wie weit man Kirchlichkeit außerhalb der Orthodoxen Kirche anerkennen kann. Das Problem scheint mir, dass diese ekklesiologische Frage auch in dem jetzt vorbereiteten Papier nicht eindeutig beantwortet ist.

domradio.de: Bei Konzilien der Katholischen Kirche im Mittelalter hat bisweilen der Kaiser kräftig im Hintergrund mitgemischt – ist das heute bei den Orthodoxen vergleichbar – also interessiert sich zum Beispiel Russlands Präsident Putin für das Konzil und will vielleicht sogar Einfluss nehmen?

Dr. Oeldemann: Das glaube ich eher nicht. Sicherlich wird es mit Interesse von den jeweiligen Staatshäuptern der betroffenen Ländern verfolgt werden, aber da es wenig um Fragestellungen geht, die die Sozialethik oder Beziehungen von Kirche und Staat betreffen, denke ich, dass das nicht von politischer Einflussnahme abhängt, ob das Konzil tagen wird oder nicht.

domradio.de: Dann wagen wir zum Schluss eine Prognose. Wird das Konzil stattfinden?

Dr. Oeldemann: Ich glaube, dass das Konzil stattfinden wird – vielleicht nicht mit allen 14 Landeskirchen. Aber ich denke, dass insbesondere der ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I. wie auch der Patriarch von Moskau, Kyrill I., gewillt sind, das Konzil jetzt stattfinden zu lassen. Denn falls nicht, dann wird es meiner Meinung nach lange dauern, bis es eine zweite Chance dafür gäbe. Denn mit einer Absage jetzt würde man signalisieren, dass sich die Kirchen vorab in allen Fragen einig sein müssen, bevor sie überhaupt zusammen kommen können.

domradio.de: Ein Konzil ist ja nicht immer ein Garant dafür, dass man sich einigt. Wie wird das Treffen die Orthodoxe Kirche voranbringen? Wird die Kirche geeinter oder gespaltener sein nach dem Treffen?

Dr. Oeldemann: Ich hoffe, dass sie geeinter sein wird – ich befürchte aber, dass es zu Spaltungstendenzen kommen wird, gerade wenn nicht alle 14 Kirchen teilnehmen. Dann droht im Nachhinein, dass jede autokephale, also selbstständige Kirche sich nochmal ein Urteil bildet, ob sie das, was das Konzil entschieden hat, für sich akzeptiert oder nicht. Das wäre aber eine Verkehrung des orthodoxen Kirchenverständnisses, bei dem dieses panorthodoxe Konzil eigentlich das höchste beschlussfassende Gremium sein sollte. Meine Befürchtung ist, dass es darauf hinausläuft, dass letztlich jede autokephale Kirche für sich entscheidet, ob sie Beschlüsse des Konzils akzeptabel findet oder nicht.

Das Interview führte Mathias Peter.


Quelle:
DR