domradio.de: Was genau ist denn die Kernfrage, die heute auf der Jahrestagung des Ethikrats esprochen wird?
Professor Dr. Franz-Josef Bormann (Katholischer Priester, Moraltheologie und Mitglied im Deutschen Ethikrat): Zunächst geht es einfach darum, sich den naturwissenschaftlichen Sachstand dieser neuen Verfahren darstellen zu lassen. Auf der anderen Seite soll aber auch danach gefragt werden, welchen Betrag die Ethik zu der Anwendung dieser neuen Technologie leisten kann.
domradio.de: Das heißt, das Verfahren der Genveränderung selbst steht da nicht zur Debatte, sondern nur die Anwendung beim Menschen. Welche Chancen bietet das Verfahren denn?
Bormann: Es geht durchaus um eine Gen-Veränderung. Die Gen-Schere greift ja tatsächlich in das menschliche Genom ein. Und jetzt geht es eben darum, dass diese Gen-Scheren in einem ganz großen Anwendungsbereich genutzt werden können. Sie können da nicht nur an Eingriffe in das menschliche Erbgut denken, sondern es geht auch um Tier- und Pflanzenzucht, es geht um Ermittlung neuer medikamentöser Verfahren und so weiter. Das ist also ein ganz breiter Anwendungshorizont.
Besonders heikel wird die Sache natürlich dann, wenn in das menschliche Erbgut eingegriffen wird. Es ist zu unterscheiden zwischen den sogenannten somatischen Veränderungen - also dem Eingriff in somatische Körperzellen - und dem Eingriff in sogenannte Keimbahnzellen. Also immer dann, wenn die Eingriffe auch vererbt werden an die nächste Generation.
domradio.de: Können Sie erklären, warum es an dieser Stelle heikel wird?
Bormann: Weil natürlich die Folgen jeweils unterschiedlich sind. Wenn Sie etwa in eine Keimzelle eingreifen oder auch in eine Zygote - also den frühesten Zustand der menschlichen Entwicklung - dann ist ja jede Veränderung, die Sie dort an der Zelle vornehmen, eine Veränderung, die in allen weiteren Generationen vererbt wird. Das heißt, da haben Sie ganz andere Zeithorizonte und da muss natürlich das Verfahren besonders sicher sein. Es treten einfach Folgen auf, die nicht auftreten würden, wenn man nur in eine Körperzelle eingreifen würde, denn da vererbt sich sozusagen nichts.
domradio.de: Wie stehen Sie als Moraltheologe zu diesem Verfahren?
Bormann: Das Verfahren selbst ist - wie ganz viele Technologien - zunächst mal neutral. Man muss nach den Zielen schauen, zu denen dieses Verfahren eingesetzt wird. Man muss schauen, ob das Verfahren in sich selbst zuverlässig genug ist, also ob es irgendwie zu Veränderungen führt, die man gar nicht gewollt hat. Das wäre natürlich ein Effekt, der - wenn man in das menschliche Erbgut eingreift - nicht zu tolerieren wäre. Und man muss natürlich auch nach den langfristigen Folgen einer solchen neuen Technologie fragen, weil sich damit auch Erwartungen und Verhaltensmuster innerhalb der Gesellschaft verändern werden.
Das Interview führte Verena Tröster.