domradio.de: Fußball und Religion haben eine ganze Menge miteinander zu tun. Oder müsste es viel mehr heißen, Fußballer haben viel mit Religion zu tun?
David Kadel (Motivationstrainer und Filmemacher): Eine sehr schöne und zutreffende Frage. Tatsächlich gibt es eine Art Bewegung in der Bundesliga und überhaupt im Fußball-Profisport, die der Entwicklung in der Gesellschaft sehr entgegenläuft. Wenn man in Köln oder Berlin auf die Straße gehen würde und würde 1.000 Menschen fragen, was sie mit Gott, Glauben oder Kirche assoziieren, dann würden wahrscheinlich eine ganze Menge Leute abwinken und sagen, man solle sie doch damit in Ruhe lassen.
Bei Fußballprofis sieht das ganz und gar anders aus, wie ich es seit einigen Jahren feststelle. Ich arbeitete seit 20 Jahren in der Bundesliga und seit fünf, sechs, sieben Jahren gibt es eine Bewegung, dass ganz viele Fußballprofis sich zu ihrem Glauben bekennen. Ich bin losgezogen und habe darüber einen Film gemacht, der "Und vorne hilft der liebe Gott" heißt. Dabei habe ich gefragt, woher dieses Phänomen kommt, warum so viele Spitzensportler plötzlich gläubig sind. Dabei habe ich eine ganze Menge interessanter Antworten beispielsweise bei Jürgen Klopp und David Alaba vom FC Bayern gefunden.
domradio.de: Sie haben also Spieler und Trainer Jürgen Klopp Zuhause besucht und haben über dieses ja doch sehr intime Thema mit ihnen persönlich gesprochen?
Kadel: Genau. Das zeichnet den Film auch aus. Der ist für die Bundesliga schon recht außergewöhnlich. Wir erleben ja Woche für Woche durch die Übertragungen, was die Fußballer alles können, aber wir erfahren ja nicht, was der Mensch eigentlich in seinem Herzen trägt. Wir haben es tatsächlich in 102 Minuten Filmlänge geschafft, mit Jürgen Klopp und den anderen sechs Hauptdarstellern kaum über Fußball zu sprechen, sondern über ihr Inneres, über ihre Sehnsüchte, ihre Ängste und Träume. Wir kennen ja oft nur die Fußballer, die ihren Namen und ihre Nummer auf dem Rücken tragen. Die sieben Protagonisten fanden es auch spannend, einmal mit diesen Fragen konfrontiert zu werden.
domradio.de: Würden Sie sagen, diese Stars brauchen den lieben Gott manchmal sogar mehr als wir "Otto-Normalverbraucher"?
Kadel: Ich glaube, wir brauchen alle Gott - vor allem in unserer Gesellschaft, die täglich immer ein Stück weit verrückter wird. Die Redewendung "wir brauchen Gott" steht in dem Fall für Demut, ein bisschen mehr Liebe, Toleranz und Respekt. Alles das kann man ja in der Bibel entdecken. Diese sieben Stars haben aber tatsächlich das Problem, dass der Druck sehr groß geworden ist. Man kann sich ja heute als 20-Jähriger keinen Fehler mehr erlauben. Man kann bei keinem Interview mehr eine falsche Aussage treffen, ohne dass der bekannte Shitstorm in den sozialen Netzwerken losbricht. Deshalb sind alle sehr vorsichtig geworden.
Vor allem der Druck macht vielen sehr zu schaffen. Wir erinnern uns ja noch an Robert Enke, der sich vor ein paar Jahren leider das Leben genommen hat. Plötzlich war man in der Bundesliga erschrocken und viele Vereinsbosse haben gesagt, es sei ihnen gar nicht so bewusst gewesen, dass das auch Menschen mit Problemen sind, schließlich verdienen die doch so viel Geld bei uns. Was ist da los? Warum haben die Angst? Warum haben die so viel Druck? Das sind doch Profis. Das verstehen wir nicht. Diese Fußballer, mit denen ich arbeite, sind sich darüber bewusst und sagen, wenn sie einen Glauben und einen Gott haben, bei dem sie eine Menge von diesem Druck und der Angst abladen können, dann ist man viel leichter und happy und kann auf dem Feld viel mehr Gas geben, als ständig Sorgen mit sich herumzutragen.
domradio.de: Wie gehen denn diese Fußballer mit solchen Sprüchen um wie "du bist ein Fußballgott". Lachen die darüber oder nehmen sie das ernst?
Kadel: Die Fußballer, die ich bisher kennengelernt habe, die grinsen darüber. Daniel Didavi vom VfB Stuttgart war dann auch zeitweise "Daniel Didavi, Fußballgott", wie die Cannstatter Kurve im Stadion gerufen hat. Die hören das Woche für Woche. Natürlich ist das mit einem Schmunzeln zu nehmen. Die sieben Hauptdarsteller sind aber alle auch sehr ernsthaft in ihrem Glauben und sagen, dass es natürlich keinen Fußballgott und nur einen Gott überhaupt gibt.
David Alaba nimmt es so ernst, dass er beim FC Bayern einen Bibelkreis gegründet hat. Da sitzen dann Rafinha und die ganzen Spanier und Brasilianer, die beim FC Bayern in München kicken, und er alle 14 Tage zusammen. Sogar Spieler von 1860 München kommen dazu, wie er mir erzählt hat. Das ist eigentlich völlig verrückt. Man merkt, dass der Glaube für die schon etwas Ernsthaftes ist. Sie setzen sich hin und laden einen Pfarrer ein und sagen ihm, "komm mach bei uns Kirche, denn sonntags können wir nicht, da wir meistens Training um zehn Uhr morgens haben".
domradio.de: Haben Sie als Mentaltrainer denn noch einen guten Tipp für unsere Nationalspieler? Wir sind ja mitten in der heißen EM-Phase. Wie erdet man sich mit himmlischer Hilfe, um ein gutes Spiel zu liefern?
Kadel: Der Tipp kommt eigentlich aus dem Alltag. Ich helfe mir selbst, indem ich mir manchmal die Nachrichten anschaue. Man muss nur einmal zehn Minuten die aktuellen Nachrichten am Tag anschauen und da gibt es ja kaum eine Sendung, in der nicht Flüchtlingsboote, Armut und verfolgte Menschen zu sehen sind. Sobald ich persönlich da nur zwei Minuten gucke, bin ich ein dankbarer Mensch.
Dankbarkeit hat etwas damit zu tun, die eigene Situation einzuordnen. Wir in Deutschland leben ein Wahnsinnsleben. Das sind paradiesische Zustände, wenn man nur ein wenig schaut, was sonst in der Welt los ist. Den Fußballern muss man das erst recht nicht sagen. Die haben ein absolutes Wahnsinnsleben. Vor lauter Dankbarkeit können die eigentlich nur laufen, laufen, laufen und hoffentlich auch treffen, treffen, treffen.
Das Interview führte Verena Tröster.