Londoner Diakon zum Brexit-Referendum

"Jetzt kommt das böse Erwachen"

Großbritannien hat für den Brexit gestimmt - ganz demokratisch. Doch wie geht es nun auf der Insel weiter? Zunächst mit einem bösen Erwachen bei vielen, wie der Londoner Diakon Stephan Arnold berichtet - und einer politischen Wende?

Zeit des Erwachens in Großbritannien / © Andy Rain (dpa)
Zeit des Erwachens in Großbritannien / © Andy Rain ( dpa )

domradio.de: Einige Mitglieder aus Ihrer Gemeinde durften beim Referendum mit abstimmen - wie haben die auf die Brexit-Entscheidung reagiert?

Stephan Arnold (Diakon der deutschsprachigen katholischen Gemeinde St. Bonifatius in London): Wie die meisten anderen Briten, die ich kenne, eigentlich auch: Sie haben entsetzt reagiert.

domradio.de: Wie konnte es so weit kommen? Wie ist da Ihre Theorie?

Arnold: Die EU wird hier ja gerne für alle Übel verantwortlich gemacht. Alles, was schlecht läuft, ist dann Brüssel schuld. Viele meinen auch, dass früher alles besser gewesen sei. Und es ist eine gewisse Fremdenfeindlichkeit zu spüren. Es gibt Ängste vor den Fremden, die da sind und kommen. Das alles zusammen hat wohl dazu geführt, dass die knappe Mehrheit für den Austritt gestimmt hat.

domradio.de: War es eine Art Protestwahl? Anscheinend bereuen ja nun viele Briten das Votum.

Arnold: Ja, bei einigen Brexit-Befürwortern findet gerade so eine Art Erwachen statt. Briten, die selbst für den Austritt gestimmt haben, sind nun erschrocken über das Ergebnis.

domradio.de: Das Brexit-Referendum ist nicht zwingend, die Entscheidung über Austrittsverhandlungen mit der EU liegt beim Parlament. Aber wenn man dieses Ergebnis nicht ernst nimmt, haben Referenden doch gar keinen Sinn mehr, oder?

Arnold: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ja, die Bevölkerung wurde gefragt und hat sich entschieden. Aber ich frage mich: Kann man eigentlich über eine so komplexe Frage einfach mit Ja oder Nein abstimmen?

domradio.de: Was meinen Sie: Wird Großbritannien in zwei Jahren noch Teil der Europäischen Union sein?

Arnold: Ich hoffe es. Es gibt ja gewisse Chancen, dass sich das Ganze doch noch zum Guten wendet. Es hängt nun viel davon ab, was hier innenpolitisch geschieht. Sollte es Neuwahlen geben, bleibt abzuwarten, wie dann die neue Regierung entscheidet.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR