Die Atmosphäre erinnert ein wenig an die in der Möbelhauskette mit dem blau-gelben Logo. Stellwände unterteilen den großen Raum in kleine Wohneinheiten. Es riecht nach Pressspan, Deckenleuchten ersetzen das Tageslicht. An einer Tür hängt ein handgeschriebenes Schild: Familie Shezae hat hier ihr Zuhause. Priester und Messdiener mussten dafür vorübergehend ausziehen.
Kirchenbänke eingelagert
Seit mehr als einem halben Jahr leben Flüchtlinge in der katholischen Kirche St. Benedikt in Bremen. Die Kirchenbänke sind eingelagert, Altar und Taufbecken unter einer Holzverkleidung verschwunden. Stattdessen türmen sich Kosmetikartikel und Kinderspielzeug auf Spinden, über den Stellwänden hängen Handtücher und T-Shirts. Nur die bunten Fenster und ein großes Kruzifix zeugen noch von der ursprünglichen Bestimmung des Gebäudes.
"Am Anfang fand ich es schon befremdlich, in einer Kirche zu wohnen", sagt Amen Belal. Wie der Großteil der rund 30 Bewohner ist der Syrer Muslim. Seine Bedenken haben sich jedoch schnell zerstreut, er fühlt sich wohl in St. Benedikt. "Ab und zu ist es etwas laut", sagt Belal und weicht dem kleinen Tawfik aus, der mit seinem Dreirad immer wieder den Gang auf und ab rast.
Gottesdienste im Pfarrsaal
Die Trennwände gewähren den Flüchtlingen zwar etwas Privatsphäre. Da die Wohnräume aber keine Decken haben, hallen alle Geräusche durch das Kirchenschiff. Die Kinder spielen deshalb jetzt am frühen Morgen im benachbarten Gemeindehaus - und auch die Gemeinde selbst hat sich mit dem Provisorium, in dem alles etwas beengt ist, arrangiert. Ihre Gottesdienste feiert sie zurzeit im Pfarrsaal, der mehr funktional als schön ist.
Ein Tisch mit weißem Tuch dient als Altar, ein Keyboard ersetzt die Orgel. Statt auf Kirchenbänken nehmen die Gemeindemitglieder auf buntgemusterten Stühlen Platz, Knien beim Gebet fällt seitdem aus. "Zuerst war ich natürlich enttäuscht und traurig. Schließlich haben wir ein Stück unserer Glaubensheimat verloren", sagt Gemeindemitglied Waltraud Mohren. Trotzdem kann sie dem Ganzen auch etwas Positives abgewinnen. "Die Gemeinde ist enger zusammengerückt. Die Gebete und der Gesang sind viel intensiver geworden."
Gemeinde nicht durchgängig begeistert
Doch das sieht nicht jeder so. Einige Gemeindemitglieder bleiben seit dem Umzug dem Gottesdienst fern. "Es gibt einige, die nach wie vor nicht damit einverstanden sind", sagt Pfarrer Johannes Sczyrba. Und die ihren Unmut zuweilen auch lautstark äußern. Sczyrba hält dann dagegen: "Kirche ist nicht nur zum Beten da, sondern auch für soziales Engagement." Als Papst Franziskus im vergangenen Herbst die Pfarreien in Europa aufrief, Flüchtlinge aufzunehmen, musste Sczyrba nicht lange überlegen. Er bot der Sozialbehörde seine Kirche als Notunterkunft an - als erste in Bremen. Kurz darauf folgte die evangelische Versöhnungskirche.
Andere Kirchen folgen Bremer Beispiel
Auch andere katholische und evangelische Gemeinden in Deutschland haben seit vergangenem Jahr Flüchtlingen Obdach gewährt. Sie schufen Platz in Pfarrhäusern, Wohnungen oder Bildungsstätten. Auch einige Kirchen wurden zu einem neuen Zuhause für die Hilfesuchenden - allerdings ist das eher die Ausnahme. Wegen der hohen Auflagen etwa beim Brandschutz seien andere kirchlichen Gebäude deutlich besser geeignet, sagt Christiane Kolfenbach von der Deutschen Bischofskonferenz. "Normalerweise verfügen Kirchen auch nicht über die notwendigen sanitären Anlagen, um dort eine größere Anzahl von Personen menschenwürdig unterzubringen."
Die Kirche der evangelischen Gemeinde Königshardt-Schmachtendorf in Oberhausen war deshalb von Anfang an nur vorübergehend als Flüchtlingsunterkunft gedacht: Hochbetten im Kirchenraum, Container mit Duschen und Toiletten, kleine Umbauten an der Heizung - spartanisch, aber allemal besser als im Winter im Zelt zu hausen. "Einige in der Gemeinde waren schon erschreckt, dass man Flüchtlinge in der Kirche unterbringt", sagt Thomas Drothler vom Presbyterium. Doch im Nachhinein sei es die richtige Entscheidung gewesen. Die Flüchtlinge sind längst wieder ausgezogen, doch viele der Ehrenamtlichen hätten weiterhin engen Kontakt zu ihnen.
Verwendung statt Abriss
Im sauerländischen Arnsberg überlässt die evangelische Gemeinde ihre Erlöserkirche komplett den Flüchtlingen. Diese war in den 60er Jahren in einem Neubaugebiet entstanden und ergänzte die evangelische Kirche in der Altstadt. Den Unterhalt von zwei Kirchen kann sich die Gemeinde jedoch nicht mehr leisten. "Der ursprüngliche Plan war, die Erlöserkirche mittelfristig abzureißen", sagt Pfarrer Johannes Böhnke. Ende vergangenen Jahres wurde sie entwidmet. Dass Flüchtlinge nach einem Umbau in der Kirche leben werden, sei zumindest ein kleiner Trost für die Gemeinde, meint Böhnke. "Das ist ihre letzte Verwendung."
Schrumpfende Mitgliederzahlen machen den Kirchen in vielen Orten zu schaffen. Gemeinden schließen sich zusammen, Gotteshäuser stehen leer. Auch bei den Gottesdiensten in der St. Benedikt-Kirche bleiben viele Bänke inzwischen leer. Vor zehn Jahren ging die Gemeinde deshalb mit drei Nachbargemeinden zusammen. Auch aus diesem Grund sehen manche Gemeindemitglieder die Flüchtlingsunterkunft kritisch. "Es gibt Ängste, dass sie ihre Kirche nicht wiederbekommen", sagt Julie Maywald, die die Einrichtung leitet. Vor allem die älteren Kirchgänger taten sich anfangs mit der Veränderung schwer.
Dankbare Flüchtlingskinder
So wie Maria Riedel. Die 80-Jährige lebt in dem Mietshaus, das an die Kirche angrenzt. In den unteren Etagen befinden sich die Pfarrräume, darüber fünf Wohnungen. Riedel bekommt alles hautnah mit, was in der Gemeinde vor sich geht. Sie hat Schlüssel für den Pfarrsaal und die Empore, auf der die Orgel steht. Sie ist quasi die gute Seele der Gemeinde - und mittlerweile auch von der Notunterkunft.
Mit einem Korb voll bunter Wollknäuel kommt Riedel an diesem Tag die Treppe herunter. Sofort wird sie von mehreren Flüchtlingskinder umringt. Ein Mädchen greift ihre freie Hand und drückt sich an sie. Eine Nähe, die erst wachsen musste. "Erst war ich ein bisschen erschrocken", gesteht Riedel. "Vor allem als am Anfang hauptsächlich Männer einzogen." Berührungsängste hat sie jetzt aber nicht mehr.
Jeden Mittwoch treffen sie und Waltraud Mohren sich mit den Frauen aus der Notunterkunft zur Strickgruppe. Die 29-jährige Seham Alasaad hat dank der beiden nicht nur Stricken gelernt. "Ich fühle mich willkommen", sagt sie. Wie viele andere in der Unterkunft lässt sie das die Ehrenamtlichen deutlich spüren. "Es kommt viel Liebe zurück", sagt Mohren.
Gemeinde und Religionen näher gekommen
Nicht nur die Gemeinde ist mit dem Einzug der Flüchtlinge näher zusammengerückt. Auch die Religionen sind sich näher gekommen. Christen und Muslime lernen voneinander, haben mehr Verständnis für die Kultur und Werte der anderen entwickelt. "Das sind aber eher Gespräche am Rande", betont Pfarrer Sczyrba. Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, er wolle jemanden missionieren. "Menschen eine Heimat, ein Zuhause anbieten", das allein sei das Ziel der Gemeinde, sagt er.
Bis Ende des Jahres hat die Gemeinde die Kirche der Sozialbehörde als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung gestellt. Vorerst. "Wir sehen das als Übergang", sagt Mohren. Und schiebt sofort hinterher: "Auf ein halbes Jahr kommt es jetzt auch nicht an." Auch Sczyrba würde einer Verlängerung sofort zustimmen. Wenn man ihn fragt, ob er die Gottesdienste in seiner Kirche vermisst, antwortet er bestimmt und ohne lange zu überlegen: "Nein."