Der Erzbischof äußerte sich mit Blick auf die vergangenen Jahre in einer Kolumne für die Online-Ausgabe des "stern". Dass in den vergangenen Tagen viele Türken gegen den Militärputsch demonstriert hätten, sei bewundernswert. Besorgniserregend sei, dass nun nur wenige ihre Stimme erhöben, wenn es darum gehe, Menschen vor Polizeigewalt, Lynchjustiz und der Diktatur eines Einzelnen zu bewahren.
Frühere Beeindruckung verschwunden
Woelki betont, er sei in den frühen Regierungsjahren Erdogans durchaus beeindruckt davon gewesen, wie er sein Land "als religiöser Mensch, aber auch als Freund der Demokratie umzubauen wagte und Gerechtigkeit und Fortschritt zum Programm machte". Die Rechte religiöser Menschen im Lande seien ebenso gestärkt worden wie Menschenrechte und Pressefreiheit.
Mittlerweile aber herrsche gegenüber der kurdischen Minderheit wieder brutalste Gewalt, säßen wieder viele Journalisten in türkischen Gefängnissen, würden Christen bei der Ausübung ihrer Religionsfreiheit massiv eingeschränkt und werde die Todesstrafe ernsthaft wieder diskutiert.
Appell an das Gewissen
"Danken Sie Ihrem Volk für seinen Einsatz mit Recht und Freiheit, Bruder Erdogan, und zerstören Sie die Demokratie jetzt nicht durch Ihr Handeln", schreibt der Kardinal und appelliert an das Gewissen des muslimischen Staatschefs. "Als Christen und Muslime wissen wir uns gerade auch in unserem politischen Handeln allein dem einen und wahren Gott verpflichtet, dessen Wesen Koran und Bibel als barmherzig beschreiben."