Flüchtlingshelfer drängt auf bessere Bedingungen in den Anrainerstaaten

Hilfe vor Ort

Rudi Löffelsend ist in der Flüchtlingshilfe der Essener Caritas aktiv. Er drängt darauf, dass angesichts des unsicheren Flüchtlingsdeals mit der Türkei die Bedingungen in den Camps beispielsweise im Irak verbessert werden. Ein domradio.de-Interview.

Flüchtlingslager nahe Falludscha (Irak) / © Norwegian Refugee Council/NRC (dpa)
Flüchtlingslager nahe Falludscha (Irak) / © Norwegian Refugee Council/NRC ( dpa )

domradio.de: Was haben Sie denn gedacht, als Sie von der indirekten Drohung der türkische Regierung gehört haben, den Pakt aufzukündigen?

Rudi Löffelsend (ehemaliger Referent für Auslandshilfe der Caritas Essen, aktuell engagiert in der Caritas-Füchtlingshilfe in Essen): Ich hatte ja bei dem Pakt selbst schon immer ein ungutes Gefühl, ob das auch wirklich alles so einzuhalten ist. Die Entwicklung der letzten Wochen treibt mir schon so ein bisschen den Angstschweiß auf die Stirn, obwohl ich sonst nicht so ängstlich bin. Die Unberechenbarkeit des türkischen Präsidenten ist ja bekannt. Manche Drohungen, die man nicht ernst genommen hat, haben sich doch bewahrheitet.

domradio.de: Nehmen wir an, es käme zum Äußersten: Ende Oktober haben wir noch keine Visafreiheit für die Türkei - als Reaktion darauf gibt es keine Flüchtlingsrücknahme durch die Türkei. Welchen Einfluss könnte das auf die Flüchtlingsbewegungen haben?

Löffelsend: Dann wird der Strom wieder losgehen. Ich bin sicher, dass auch andere Wege noch gefunden werden, und dass Schlepper wieder hervorragende Geschäfte machen. Und es werden auch viele Menschen wieder ihr Leben verlieren. Aber es werden noch etliche wieder durchkommen und nach wie vor ist das Traumziel für die meisten Flüchtlinge Deutschland.

domradio.de: Sie betreuen unter anderem ein Flüchtlingslager im Nordirak. Hat die Türkei als Transitland da auch für Sie eine besondere Bedeutung?

Löffelsend: Für uns selbst nicht, weil wir fast alles im Irak selbst regeln können. Selbst die Container, die wir dort stehen haben, haben wir im Nordirak bauen lassen.

domradio.de: Sie kennen die Flüchtlinge nicht nur aus den Nachrichten, sondern auch vom persönlichen Umgang. Sie waren selbst vor Ort. Was löst es in ihnen aus, wenn Sie hören, dann Flüchtlinge zur Spielmasse von politischen Manövern werden?

Löffelsend: Das waren sie ja schon öfter. Es war ja auch schon in Syrien durchschaubar, dass Menschen als Druckmittel genutzt werden und Flüchtlinge auf der Strecke bleiben. Man muss im Grunde etwas in den Anrainerstaaten tun. Man muss der Türkei zu Gute halten, dass sie 2,7 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat. Das ist eine hohe Zahl. Das Land hat die Flüchtlinge lange Zeit auch selbst versorgt. Man kann aber auch in den anderen Anrainerstaaten - zum Beispiel im Nordirak, wo es friedlich ist - einiges verbessern und Fluchtursachen verhindern. Dazu muss man in den Camps vernünftige Bedingungen schaffen, dass die Menschen gar nicht erst abhauen müssen.

domradio.de: An wen adressieren Sie Ihre Forderungen, wer soll da Einfluss nehmen?

Löffelsend: Die Bundesregierung hatte angefangen, ein vernünftiges Konzept zu entwickeln. Jetzt beim 9-Punkte-Plan von Frau Merkel hat man da nichts mehr von gehört. Da sehe ich den Schlüssel. Wenn im Libanon, in Jordanien und im Nordirak vernünftige Bedingungen geschaffen werden, dann bin ich sicher, dass etliche Leute nicht fliehen würden. Abgesehen von Syrien - Aleppo und so weiter -, wo es keine andere Chance gibt, als die Flucht anzutreten.

domradio.de: Blicken wir zum Schluss auch noch nach Deutschland. Sie haben einen Überblick über die Flüchtlingshilfe in Essen beispielsweise: Wäre man darauf vorbereitet, sollten die Flüchtlingszahlen wieder zunehmen?

Löffelsend: Essen ja. In anderen Städten kann ich das nicht überblicken. Essen hat im Februar beschlossen, eine ganze Menge vernünftiger neuer Unterkünfte zu bauen. Aber wir haben in Essen noch ein anderes Problem. Wir sind irgendwie das neue Damaskus, habe ich den Eindruck. Unglaublich viele Flüchtlinge aus Syrien, die anerkannt sind, und irgendwo in Deutschland - vor allem in Ostdeutschland - leben, kommen scharenweise nach Essen. Noch gibt es die Wohnsitzauflage für Flüchtlinge ja nicht. Die Menschen, die hierher kommen, nehmen den Essener Flüchtlingen, die noch in Notunterkünften sind, die Wohnungen weg. Das ist noch ein ganz anderes Problem, das mit der Türkei und Erdogan nichts zu tun hat.

Das Interview führte Daniel Hauser.


Quelle:
DR