An diesem Samstag reisen wieder rund 10.000 Tamilen aus ganz Westeuropa ins niederrheinische Kevelaer. Das jährliche Pilgerfest der Tamilen aus Sri Lanka zog zuletzt auch immer mehr Schaulustige aus der Region an. Das 28.000-Einwohner-Städtchen ist an diesem Tag geprägt von leuchtenden Farben, exotischen Klängen und Gerüchen. Frauen und Mädchen in traditionellen Saris kaufen und verkaufen auf einem Markt Waren aus ihrer Heimat. In Garküchen werden typische Gerichte aus Sri Lanka angeboten.
Die Angehörigen der Minderheit aus Sri Lanka, dem früheren Ceylon, sind zumeist während des blutigen Bürgerkriegs (1982-2009) aus ihrem Land nach Deutschland, Benelux, Frankreich, England, Italien und Skandinavien geflüchtet. Sie beten im Marienort Kevelaer für Versöhnung in ihrer Heimat.
Hindus besuchen das Gnadenbild
Das Anzünden einer Kerze - je größer, desto besser - hat für die Tamilen eine besondere religiöse Bedeutung. Generationenübergreifend, in Familien und teils Großfamilien, reihen sie sich in die Dutzende Meter lange Schlange zur Gnadenkapelle. Tamilische Christen wie auch Hindus kommen nach Kevelaer. Die Hindus gehen nicht zur Messe, aber zum Gnadenbild. Maria ist beliebt. "Hindu oder Christ, das ist hier nicht wichtig", sagt Camillus Thuraisingham, Pfarrhelfer aus Oberhausen. "Zwischen uns gibt es keine Spannungen, wir sind ein Volk."
Die Wallfahrt der Tamilen nach Kevelaer findet seit 1988 statt. Keiner von den rund 50 Teilnehmern der bescheidenen Erstausgabe hätte wohl damals davon zu träumen gewagt, was sich daraus entwickeln würde, berichtet Thuraisingham, selbst ein Pilger der ersten Stunde. "Als Flüchtlinge durften wir die Orte, an denen wir gemeldet waren, ja nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Behörden verlassen." Keine Sprachkenntnisse, kein Führerschein. Doch die Idee setzte sich durch. Kevelaer ist für die Tamilen ein Höhepunkt im Kirchenjahr geworden.
Das Geheimnis des Erfolgs?
Zentrum des Marienortes bei Xanten ist die "consolatrix afflictorum" übersetzt die Trösterin der Betrübten, ein Gnadenbild aus der Zeit der Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges. Es dient den einstigen Bürgerkriegsflüchtlingen als Ersatz für die Pilgerfahrt nach Madhu im Norden Sri Lankas, die jeden August am Hochfest Mariä Himmelfahrt stattfindet. In Madhu wird eine 400 Jahre alte Marienstatue verehrt. Mehrere 100.000 Menschen nehmen alljährlich daran teil, darunter nicht nur Katholiken und Christen anderer Konfessionen, sondern auch Buddhisten und Hindus.
Etwa sechs Prozent der Bevölkerung Sri Lankas gehören der katholischen Kirche an; die Singhalesen im Süden des Landes sind mehrheitlich Buddhisten. Die katholische Kirche gehört zu den wenigen Institutionen, die in beiden Bevölkerungsgruppen verankert sind und damit zur Versöhnung nach dem Bürgerkrieg beitragen können. Papst Franziskus besuchte im Januar 2015 Sri Lanka und auch den Wallfahrtsort Madhu. Er rief dort zu Frieden und Versöhnung unter den Bevölkerungsgruppen und Religionen auf.
Das große Familientreffen
In Kevelaer erinnert am Wallfahrtstag vieles an ein Familientreffen: Man umarmt sich, lässt sich gern fotografieren, plauscht und stockt auf dem Plutenmarkt tamilische Produkte auf. Und für manchen in der jungen Generation ist das Großtreffen womöglich auch eine willkommene Gelegenheit, um jenseits der rund 40 regionalen tamilischen Gemeinden in Deutschland Gleichaltrige kennenzulernen.
Die Messe beginnt um 11.00 Uhr. Dann verdichtet sich das Geschehen am "Forum Pax Christi", dem größten Versammlungsort des Wallfahrtsbezirks. Auf den Säulen im Altarbereich stehen wie ein Who is Who die Namen anderer Marienorte: Pontmain in Frankreich, Beauraing in Belgien. Auch Madhu ist dabei. Vor der Tür warten die prächtig gekleideten tamilischen Kommunionkinder des Jahres auf ihren Einzug. Mit ihren Kerzen, einem Banner und Flaggen, die besagen: Wir sind unterwegs zum Frieden.