Warum gewähren die Kirchen Flüchtlingen Kirchenasyl?
Beim Kirchenasyl werden Flüchtlinge ohne legalen Aufenthaltsstatus von Kirchengemeinden zeitlich befristet beherbergt. Christen ist es von der Bibel her aufgetragen, sich um Flüchtlinge, Arme und Gestrandete zu kümmern. Schon aus dem vierten Jahrhundert ist bekannt, dass Flüchtlinge in Kirchen Schutz suchten. Mit der Entwicklung rechtsstaatlicher Systeme verlor das Kirchenasyl an Bedeutung und wurde im 18. und 19. Jahrhundert in den meisten Ländern abgeschafft. Kirchlicherseits gibt es seit dem neuen Kirchenrecht 1983 offiziell kein Kirchenasyl mehr.
Warum halten viele Gemeinden trotzdem am Kirchenasyl fest?
Befürworter wie die Kirchenasylbewegung argumentieren, dass Deutschland und Europa beim Schutz der Flüchtlinge versagten und Menschenrechte vernachlässigt würden. "Das Asylrecht ist nichts wert, solange der Zugang Schutzsuchenden verwehrt bleibt", heißt es in einer 2010 beschlossenen "Charta" der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche.
Wie verhält sich der Staat gegenüber dem Kirchenasyl?
Besonders deutlich hat Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU), selber Mitglied im Präsidium des Evangelischen Kirchentags, dieses Instrument kritisiert. Er warf den Kirchen im Februar 2015 Rechtsbruch vor, wenn sie Flüchtlinge ohne legalen Aufenthaltsstatus aufnehmen. Der CDU-Politiker verwies dabei auch auf die Scharia, die auch nicht über dem deutschen Gesetz stehen könne. Zwar sei es in Einzelfällen nachvollziehbar, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, aber "wir reden jetzt inzwischen über Hunderte von Fällen". Das sei jedenfalls "ein Missbrauch des Kirchenasyls".
Wie haben die Kirchen auf diesen Konflikt reagiert?
Wer heute in der Bundesrepublik Kirchenasyl gewährt, verstößt nach der Rechtsauffassung von Staat und Kirchen gegen geltendes Recht. Die Behörden können Flüchtlinge aus Gemeinderäumen und Kirchen holen lassen - auch wenn das bisher selten passiert ist. In Härtefallkommissionen der Länderinnenministerien werden Grenzfälle überprüft. Dennoch bezeichnen die Kirchen das Kirchenasyl als "Beitrag zum Erhalt des Rechtsfriedens und der Grundwerte unserer Gesellschaft". Eine im August 2015 veröffentlichte Handreichung der katholischen Bischöfe spricht vom Kirchenasyl als letzter Möglichkeit ("ultima ratio") und mahnt zu einem sehr sorgfältigen Umgang mit diesem "kostbaren Gut". Es handle sich um eine "Form des gewaltlosen zivilen Ungehorsams", heißt es in dem Papier.
Haben sich Staat und Kirchen auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt?
Im vergangenen Jahr einigten sich Kirchen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf eine neue Form der Zusammenarbeit bei Fällen von Kirchenasyl. Dabei sollen Kirchenvertreter die Möglichkeit bekommen, Einzelfälle erneut vom Bundesamt überprüfen zu lassen - im Idealfall, noch bevor die betroffenen Personen ins Kirchenasyl aufgenommen werden.
Wurde dieses Verfahren in Münster eingehalten?
Offenbar nicht. Denn Bischof Felix Genn kritisierte am Dienstagabend, dass die Behörden während eines laufenden Verfahrens ohne Vorankündigung zugegriffen hätten. Das Bistum Münster unterstrich, dass das zwischen Kirche und Staat abgesprochene Vorgehen von Seiten der Kirche eingehalten worden sei. Das dabei vorgesehene Dossier, in dem die Gründe für eine Härtefallentscheidung zugunsten des Ghanaers zusammengefasst sei, sei unmittelbar vor der Übermittlung an das zuständige Bundesamt gewesen.
Wieviele Kirchenasyle gibt es?
Nach Angaben der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" gab es Ende Juli 303 Kirchenasyl-Fälle, in denen 473 Menschen Schutz erhielten, darunter 110 Kinder. Schätzungen zufolge können zwischen 80 und 90 Prozent derjenigen, die im Kirchenasyl waren, langfristig in Deutschland bleiben.
Die weitaus meisten Kirchenasyle sind sogenannte Dublin-Fälle. Was heißt das?
Derzeit sind 246 der 303 Kirchenasyle Dublin-Fälle. Nach der Dublin-Verordnung der Europäischen Union ist dasjenige EU-Land für den Asylantrag zuständig, in dem der Flüchtling zuerst ankommt. Reist er nach Deutschland weiter, wird er in sein Ankunftsland zurückgeschickt. Nur wenn er sich länger in Deutschland aufhält, ist das Asylverfahren hier anhängig. Auch im Münsteraner Fall handelte es sich um einen Dublin-Fall. Der Ghanaer war in Ungarn registriert worden, wollte dort jedoch kein Asyl beantragen. Das Netzwerk Kirchenasyl erklärte dazu, bei den derzeitigen Zuständen in Ungarn sei es sehr zweifelhaft, dass der Mann dort ein faires Verfahren bekomme.