Vor 175 Jahren wurde das "Lied der Deutschen" getextet

"Einigkeit und Recht und Freiheit"

Jedes Mal zur Fußball-WM oder -EM die gleiche Leier: Warum singen nicht alle Spieler die Nationalhymne mit? Vielleicht liegt es ja daran, dass die Deutschen seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zu "ihrem" Lied haben.

Autor/in:
Joachim Heinz
DFB-Elf bei der Nationalhymne / © Uwe Anspach (dpa)
DFB-Elf bei der Nationalhymne / © Uwe Anspach ( dpa )

Der Text der japanischen Nationalhymne ist über 1.000 Jahre alt. Die Niederländer singen ihren "Wilhelmus" vermutlich seit dem 16. Jahrhundert. Da nimmt sich der 175. Geburtstag, den das "Lied der Deutschen" jetzt feiert, vergleichsweise bescheiden aus. Die Geschichte der deutschen Nationalhymne ist gleichwohl reich an Höhen und Tiefen. Am 26. August 1841 auf Helgoland von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben zu der von Joseph Haydn komponierten Melodie "Gott erhalte Franz den Kaiser" getextet, deutet schon die Genese auf bewegte Zeiten hin.

Refugium auf Helgoland

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, dessen letzter Kaiser der Habsburger Franz II. war, existierte nicht mehr. Ein geeintes Deutschland, von dem Hoffmann wie so viele andere Intellektuelle seiner Zeit träumte, lag in weiter Ferne; Helgoland, wohin sich der Dichter nach allem Agitieren für die "deutsche Sache" zurückgezogen hatte, gehörte den Briten. Eben dort auf der Nordseeinsel erklang das "Lied des literarischen 'Revoluzzers' gegen deutsche Kleinstaaterei" am 9. August 1890 erstmals aus offiziellem Anlass, wie Hermann Schäfer in seinem Kompendium "Deutsche Geschichte in 100 Objekten" festhält. Damals kam Helgoland in deutsche Hände.

Die Außengrenzen des Deutschen Bundes, die der Dichter ein halbes Jahrhundert zuvor bei den Zeilen "Von der Maas bis an die Memel, Von der Etsch bis an den Belt" vor Augen hatte, waren da bereits obsolet.

Nach der Nazi-Herrschaft und dem Zweiten Weltkrieg stand die geografische Verortung Deutschlands mit den drei Flüssen in Frankreich, Litauen, Südtirol und der Meerenge an der Ostsee zudem für Eroberungsfantasien und deutsche Großmannsucht.

"Blödsinnigste Parole der Welt"

Doch schon zuvor sorgte der Ruf "Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt" für Naserümpfen. Als "blödsinnigste Parole der Welt" verurteilte sie 1884 der Philosoph Friedrich Nietzsche. Der Publizist Kurt Tucholsky bezeichnete den Text 1929 als großmäuliges Gedicht. "Deutschland steht nicht über allem und ist nicht über allem - niemals. Aber mit allen soll es sein, unser Land."

Wie leicht sich die Verse Hoffmanns instrumentalisieren ließen, zeigte sich bereits im Ersten Weltkrieg. An der Westfront beim belgischen Langemarck sollen junge Soldaten im November 1914 mit einem "Deutschland, Deutschland über alles" auf den Lippen in das große Töten marschiert sein.

Im Jahr 1922 Nationalhymne

Erst 1922 wurde das "Lied der Deutschen" faktisch Nationalhymne. Die Nazis nahmen davon nur die ersten Strophe und schlossen daran das SA-Lied "Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen" an. Nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" 1945 herrschte zunächst einmal Funkstille. Das Grundgesetz der Bundesrepublik erwähnte die Hymnenfrage mit keinem Ton, die DDR verabschiedete sich wenig später komplett von Hoffmanns Zeilen.

Das Provisorium - im April 1949 erklang für den deutschen Sieger eines internationalen Radrennens in Köln der im Jahr zuvor komponierte Karnevalsschlager "Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien" - beendete 1952 schließlich ein Briefwechsel zwischen Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer.

Die dritte Strophe wurde Nationalhymne der Bundesrepublik - und blieb dies auch nach Wiedererlangung der deutschen Einheit 1990. "Blüh im Glanze dieses Glückes" heißt es gegen Ende - Sängerin Sarah Connor machte daraus 2005 vor einem Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft ein "Brüh im Lichte dieses Glückes". Hoffmann hätte der kleine Fauxpas vermutlich kalt gelassen. Im Alter nannte er sein Werk einmal enttäuscht eine "Makulatur".

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Poet eine ganz andere Berufung gefunden. Von 1860 bis zu seinem Tod 1874 arbeitete der ehemalige Theologiestudent in der früheren Benediktinerabtei Corvey am Aufbau der Bibliothek der dort residierenden Herzöge von Ratibor und Fürsten von Corvey. Sie ist heute mit rund 74.000 Büchern eine der größten privaten Sammlungen Deutschlands. Im Schatten seiner westfälischen Wirkungsstätte fand der Vater der Hymne denn auch seine letzte Ruhestätte.


Deutsche Fans singen die Nationalhymne / © Rene Tillmann (dpa)
Deutsche Fans singen die Nationalhymne / © Rene Tillmann ( dpa )

Heinrich Hoffmann von Fallersleben (dpa)
Heinrich Hoffmann von Fallersleben / ( dpa )
Quelle:
KNA