DOMRADIO.DE: Sie sind jetzt zum Prior-Administrator ernannt worden, der in den kommenden 18 Monaten die Geschäfte des Klosters führen soll. Und das zu bewegten Zeiten, die das Kloster durchmacht, oder?
Pater Nikodemus (Prior-Administrator der Dormitio-Abtei in Jerusalem): Ja, das kann man so sagen. Im Sommer vergangenen Jahres hatten wir den Anschlag in Tabgha in unserem Priorat am See Genezareth, wo zwei Menschen mit Rauchvergiftungen ins Krankenhaus mussten.
Es gab einen Schaden von insgesamt 1,6 Millionen Euro. Das steckt man nicht so einfach weg. Ebenso steckt man auch den Rücktritt eines Abtes nicht einfach so weg. Hinter uns liegt demnach ein sehr bewegtes Jahr.
DOMRADIO.DE: Und es ist inzwischen auch nicht ungewöhnlich, dass Sie auf der Straße beleidigt und angespuckt werden?
Pater Nikodemus: Das ist das Grundrauschen. Wenn man Mönch in Jerusalem ist und sich entscheidet, hier zu leben, dann ist es ein sehr intensives Leben. Ich bin jetzt seit dreizehn Jahren in Jerusalem und die Entwicklung ist so, dass immer weniger Menschen auf der Straße sind, denen wir egal sind. Es nimmt tatsächlich an Anfeindungen zu, aber das ist zum Glück ein sehr kleines Segment.
Andererseits nimmt auch massiv die Solidarität zu. Viele Leute bekommen mit, dass wir verbal attackiert und angespuckt werden. Die machen dann klar, dass Jerusalem ohne uns Mönche nicht mehr ihr Jerusalem ist. Das interpretiere ich so, dass die Leute, denen wir egal sind, bald aussterben.
domradio.de: Sie selbst haben auch eine bewegte Biografie. Ihre Mutter ist Schauspielerin und Sie selbst sind auch nicht katholisch aufgewachsen. Trotzdem haben Sie sich bewusst entschieden, Mönch zu werden und nach Jerusalem zu gehen. Das ist ja ein ziemlich großer Schritt, oder?
Pater Nikodemus: Ja, schon. Aber wenn ich meine Mitbrüder anschaue, dann sehe ich diese klassischen Biografien, die viele noch im Kopf haben, dass man da quasi hineinwächst und gar nicht anders kann, eigentlich kaum noch. Jeder meiner Mitbrüder hat eine durchaus bewegte Biografie. Und Jerusalem gehört in dem Sinne dazu, weil man Benediktiner nicht abstrakt werden kann. Das gilt auch für die Benediktiner in Deutschland, Österreich und auf der ganzen Welt.
Man braucht immer diese doppelte Berufung, doppelte Verliebtheit, doppelte Verrücktheit oder wie man das auch nennen will. Einerseits ist das dieser "way of life", der Lebensstil der Gottsuche, stark rhythmisiert mit Gebet, Arbeit und Studium. Und andererseits ist es immer ein ganz konkretes Kloster, ein ganz konkreter Ort.
Ich habe in Jerusalem in den Jahren 2000/2001 in unserem theologischen Studienjahr studieren dürfen und habe einfach Feuer gefangen. Mich hat das nicht losgelassen. Im Jahr 2003 stand ich dann vor der Tür und habe angeklopft und habe das Projekt "Mönch werden" begonnen.
DOMRADIO.DE: Und jetzt sind Sie für die kommenden 18 Monate Prior-Administrator. Das ist ein kompliziertes Wort. Bedeutet das, Sie sind eine Übergangslösung?
Pater Nikodemus: Ich habe die Rechte und Pflichten eines Abtes, bin aber ernannt und nicht von meiner Gemeinschaft gewählt, wie das bei einem Abt wäre. Natürlich gab es im Vorfeld einen Konsultationsprozess. Ich bin auch nicht diktiert und aufgedrückt worden. Es ist aber in der Tat ein Zwischenzustand. Deswegen ist das auch auf 18 Monate begrenzt, was eine relativ kurze Amtszeit ist. Ein Abt hätte acht Jahre vor sich.
Nach den Ereignissen, die wir mit dem Brandanschlag und dem Rücktritt des Abtes erlebt haben, brauchte man auch einmal eine Verschnaufpause, um nicht zu sagen, dass man sofort wieder auf den Normalzustand schaltet. Es ist also auch eine Zeit der Konsolidierung. Nach 18 Monaten wollen wir dann wählen und wollen dann auch einen ganz regulären Abt bekommen.
DOMRADIO.DE: Sie sind also nicht speziell dafür eingesetzt, etwas groß zu bewegen, sondern Sie sollen einfach Ruhe reinbringen?
Pater Nikodemus: Ich glaube, am meisten muss ich mich selbst erst einmal bewegen. Ich war ja lange so etwas wie der Außenminister des Klosters und stark nach Außen als Pressesprecher aktiv. Jetzt muss ich zunächst einmal ran, um meine Kräfte neu einzuteilen und neu zu bündeln. Die Brüder haben ganz klar Vorfahrt.
Ich habe, glaube ich, drei Aufgaben vor mir. Zunächst einmal den Brüdern zuhören. Dann als zweites, mich von den Brüdern beraten zu lassen. Und drittens mit den Brüdern und an den Brüdern lernen, dass ich mich kritisieren lasse. Die Herausforderung ist neu. Ich bin der erste Obere seit es unser Kloster gibt, der wirklich hier eingetreten ist. Sonst hatten wir immer Obere von außerhalb. Das heißt, die Brüder kennen mich sehr gut und ich sie auch. Sie kennen alle meine Schwächen, meine Makel, meine Fehler und alles, was ich vielleicht auch gut kann. Ich glaube, es geht wirklich noch einmal darum, dass wir uns neu kennenlernen. Am meisten zu lernen habe ich aber erst einmal selbst.
Das Interview führte Tobias Fricke.