31. August 2015, Sommerpressekonferenz der Bundesregierung in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht über Flüchtlinge in Deutschland. Und dann fällt der Satz, der inzwischen sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat und wohl auf ewig mit ihrer Person verknüpft bleiben wird: "Wir schaffen das!"
Marx und Bedford-Strohm begrüßen Flüchtlinge
Wenige Tage später entscheidet die Kanzlerin, Flüchtlinge aus Ungarn aufzunehmen. Unter Beifall kommen einige von ihnen am Münchner Hauptbahnhof an. Zwei hohe Kirchenvertreter haben sich unter die Menschenmenge gemischt, die die Neuankömmlinge begrüßt: der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm. Die Szenen vom 5. September 2015 sind so etwas wie der Höhepunkt der seither viel zitierten Willkommenskultur.
Ein Jahr später herrscht mitunter Ernüchterung. Bald schon werde niemand mehr von "Willkommenskultur" sprechen, vermutete der Schriftsteller Abbas Khider vor kurzem im Magazin "chrismon". Der 43-Jährige mit irakischen Wurzeln hat das Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland laut eigenem Bekunden "irgendwie verloren" - angesichts von islamistischen Terroranschlägen und der Kölner Silvesternacht. Was Deutschland derzeit an Hass und Ablehnung erlebe, empfinde er als "eine Niederlage".
Wachsende Vorbehalte
Ähnlich schätzt die Syrien-Expertin Kristin Helberg die Stimmung ein. "Die Zeit der Kuscheltiere am Bahnhof ist vorbei", schreibt sie in ihrem unlängst erschienenen Buch "Verzerrte Sichtweisen". Kaum jemand sehe in den Flüchtlingen noch Menschen, sondern Massen, "und deshalb haben wir Angst". Studien zufolge wachsen die Vorbehalte in der Bevölkerung; nach der Anschlagsserie im Juli berichteten Flüchtlingshelfer von zunehmenden Anfeindungen. Zugleich gibt es sie immer wieder, die vermeintlich kleinen, oft leise daherkommenden Geschichten von Gastfreundschaft, Zusammenhalt, Aufnahme.
Der Merkel-Satz ist längst einer für die Geschichtsbücher. "Wir schaffen das" ist Symbol geworden - und Referenzgröße: Wer irgendetwas rund um das Thema Flüchtlinge, Integration, Islam kritisch sieht, der widerspricht der Parole. Wer sich als optimistisch oder kämpferisch präsentieren möchte, sagt dagegen, manches sei schwierig, aber: "Wir schaffen das".
112 Millionen Euro haben dafür allein die katholische Kirche und ihre Hilfswerke im vergangenen Jahr für die Flüchtlingshilfe gegeben. Die Deutsche Bischofskonferenz geht von mindestens 100.000 ehrenamtlichen Helfern aus; 1.280 Unterkünfte stellte die Kirche zur Verfügung. Auch äußerten die Bischöfe wiederholt große Wertschätzung für jene, die Flüchtlingen helfen - und grenzten sich klar nach rechts ab. "Ausländerfeindlich und katholisch zu sein, geht nicht zusammen", so Kardinal Marx.
Erster katholischer Flüchtlingsgipfel
Merkel selbst verteidigte jetzt im ARD-Sommerinterview ihren Ausspruch. Sie habe den Satz "in Anbetracht einer erkennbaren großen Aufgabe" gesagt. Vieles habe man seither erreicht, "und manches bleibt noch zu tun". Die Debatte über die Integration reißt nicht ab - währenddessen kommen weiter Menschen nach Deutschland, wenn auch nicht ganz so viele wie im vergangenen Jahr. Für 2016 erwartet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) neuesten Angaben zufolge unter 300.000 Flüchtlinge.
Der erste katholische Flüchtlingsgipfel, der im vergangenen November stattfand, wandelte Merkels Satz leicht ab: "Wir schaffen das nur gemeinsam", so das Fazit, formuliert vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Daran hat sich im Sommer 2016 später wenig geändert. Der Flüchtlingsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Stefan Heße, betonte beim Weltjugendtag in Krakau: "Wir müssen mit der Gastfreundschaft weitermachen." Wie das gelingen kann, wollen die Bischöfe auch auf ihrer bevorstehenden Herbstvollversammlung in Fulda erörtern.