Der Vorschlag lässt aus Sicht des Kölner Erzbischofs Rainer Maria Kardinal Woelki einiges außer Acht.
Eine Stellungnahme: Prof. Dr. Sternberg spricht sich angesichts weniger werdender Priester für eine Lockerung bzw. Abschaffung der priesterlichen Ehelosigkeit aus. Meiner Überzeugung nach tragen solch scheinbar direkte Lösungen, wie sie hier vorgestellt werden, auf Dauer nicht. Lockerung oder Abschaffung des Zölibats gleich steigende Priesterzahlen?!
Allein der Blick auf andere Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, die eine Zölibatsverpflichtung so nicht kennen, zeigt uns, dass dies so nicht der Fall ist. Die Nachwuchsfrage beschäftigt nicht nur die katholische Kirche. Und uns beschäftigt sie nicht nur im Blick auf das Priesteramt, sondern auf alle pastoralen Dienste – gleichermaßen hinsichtlich Männer und Frauen.
Eignung berücksichtigen
Auch der Vorschlag von Prof. Sternberg, schnell und zügig zu entscheiden, unsere "sehr guten und engagierten Diakone" zu Priestern zu weihen (vgl. Augsburger Allgemeine vom 29.08.2016), lässt vieles außer Acht: Berufung, Eignung, Charisma und Ausbildung. Das Diakonenamt hat seine spezifische Berufung und sein eigenes Charisma.
Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass nicht wenige Diakone solche Äußerungen als Entwertung ihrer Berufung und ihres Dienstes erleben. Zudem sind Männer, die "gute und engagierte Diakone" sind, nicht automatisch auch zur Ausübung des Priesteramtes geeignet.
Die Krise unserer Kirche in einer sich so rasant verändernden (Welt-)Gesellschaft ist umfassender und reicht tiefer, als dass sie vor allem durch eine Veränderung des Zugangs zum Priesteramt entscheidend behoben werden könnte. Der Mangel an Berufungen junger Menschen zum Priesteramt – genauso wie zu anderen pastoralen oder auch geistlichen Berufen – ist ebenso Symptom dieser Krise wie der Rückgang der Zahl der Gottesdienstbesucher oder der Menschen, die verschiedenste kirchliche Dienste in Anspruch nehmen.
Generationenaufgabe Glaubenserneuerung
Nicht "die Kirche", sondern jeder Einzelne von uns und wir gemeinsam als Kirche sind gerufen und herausgefordert, die Veränderungen in Kirche und Gesellschaft als unsere Aufgabe heute zu begreifen. Wenn wir auf das Evangelium und die Erneuerungsbewegungen in der Geschichte unserer Kirche schauen, haben Reformen immer mit persönlicher Umkehr zu tun.
Für und innerhalb unserer Kirche bedeutet dies aktuell, dass wir als Christen zunächst unseren eigenen persönlichen Glauben erneuern, verlebendigen und vertiefen. Denn nur aus einer lebendigen und tiefen Christusbeziehung erwachsen christliche Lebenshaltungen und Lebensformen. Ein solcher Prozess der Glaubenserneuerung ist eine Herausforderung für die gesamte Kirche – und für uns Heutige wird es vermutlich eine gemeinsame Generationenaufgabe sein.
In einer zunehmend säkularen Gesellschaft muss es uns als Kirche um eine grundlegende Neuevangelisierung gehen, deren Ziel es ist, Menschen überhaupt oder wieder mit Jesus Christus und seinem Evangelium bekannt zu machen. Solch eine Neuevangelisierung ist nicht allein die Aufgabe von (ausreichend) Priestern, sondern von allen Getauften.
Wachsende Verunsicherung
Die Defizite, die wir mit Blick auf das Glaubensleben innerhalb unserer Kirche seit Jahren feststellen müssen, haben unter anderem zu einer Verunsicherung hinsichtlich der Lebensform der Priester, doch auch der christlichen Ehe geführt. Beide Lebensformen sind Entscheidungen aus Liebe.
Beide Lebensformen sind im Evangelium begründet. Weil Jesus Christus die Mensch gewordene Liebe Gottes, des Vaters, ist, deshalb haben immer wieder Menschen aus Liebe zu ihm auf die Ehe verzichtet und verzichten auf sie bis heute, um sich ausschließlich an Christus zu binden und ganz frei und verfügbar zu sein für Gottes Botschaft und den Dienst an und mit den Menschen. Ebenso entscheiden sich Mann und Frau aus der in Gott gründenden Liebe zu einem ganzen Leben in Treue zueinander, in guten wie in schlechten Tagen.
In Zeiten, in denen das gemeinschaftliche Zeugnis unseres Glaubens an Strahlkraft verloren zu haben scheint, vermag die Liebe, die aus Gott und auf ihn hin gewagt wird, ein glaubwürdiges und ansteckendes Zeugnis zu sein. So hat auch die Ehelosigkeit des Priesters als widerständiges und scheinbar unzeitgemäßes Zeichen der Liebe Gottes mitten unter uns seine Bedeutung ganz und gar nicht verloren und sollte nicht in erster Linie aufgrund geringer Nachwuchszahlen über Bord geworfen werden.
Rainer Maria Kardinal Woelki
Erzbischof von Köln