Mutter Teresas indisches Erbe

Zwischen Urlaub und Sinnsuche

Mutter Teresas Heiligsprechung ist auch in Indien zu spüren. In Kolkata, dem Zentrum ihres Wirkens, melden sich bis heute jeden Monat Hunderte Freiwillige als Helfer. Ein Besuch vor Ort.

Autor/in:
Stefan Mauer
Zwei "Missionarinnen der Nächstenliebe" in Kolkata / © Piyal Adhikary (dpa)
Zwei "Missionarinnen der Nächstenliebe" in Kolkata / © Piyal Adhikary ( dpa )

Schon in der Eingangshalle des Shishu Bhavan in der ostindischen Stadt Kolkata (früher Kalkutta) ist Mutter Teresa überall präsent. In einem Glaskasten ist eine Statue der kleinen Nonne zu sehen, wie sie einen Säugling im Arm hält, als würde sie bei einer Geburt helfen. Auf einer großen Plakette, auf der ihr Kopf abgebildet ist, hat jemand die Buchstaben "St" vor ihren Namen geklebt. Die heilige Mutter Teresa.

Wir befinden uns in einem von mehr als 20 Häusern, die der Orden "Missionarinnen der Nächstenliebe" in Kolkata betreibt. In dieser Stadt begann die Albanerin, die diesen Sonntag heilig gesprochen werden soll, ihr Wirken. Hier hat ihr Orden immer noch die größte Präsenz – und zieht jeden Monat Hunderte freiwillige Helfer an.

Vergleich der Abtreibung mit Krieg und Mord

Dreimal pro Woche versammeln sich im Shishu Bhavan – eigentlich ein Heim für obdachlose Babys und Kleinkinder – zwischen 20 und 40 meist junge Menschen aus aller Welt, um als Freiwillige in einer der vielen  Einrichtungen des Ordens mitzuarbeiten. Die Nonnen registrieren jeden Ankömmling handschriftlich in einem Buch, verteilen Informationspakete und stellen Fragen, um die anstehenden Aufgaben möglichst passend zu verteilen. An der Wand hängen Plaketten mit Sinnsprüchen und Zitaten von Mutter Teresa. Darunter auch umstrittene wie der Vergleich der Abtreibung mit Krieg und Mord.

Viele Freiwillige kommen nur für ein paar Tage oder ein bis zwei Wochen. Es gibt aber auch einige, für die die Freiwilligenarbeit mehr ist als ein Urlaubs-Intermezzo. Eine von ihnen ist Sonja Sausmekat. Die Medizinstudentin lebt eigentlich in München, ist aber bereits zum dritten Mal bei den Schwestern in Kolkata. "Für mich ist die Kombination aus Freiwilligenarbeit, Ausland und einem christlichen Grundgedanken wichtig", sagt sie. "Und natürlich spielte auch der Name von Mutter Teresa eine Rolle. Dass sie jetzt heiliggesprochen wird, ist toll. Aber für uns ist sie auch ohne den Titel eine Heilige."

Grab Teresas vielbesucht

Nur wenige hundert Meter weiter, im Haupthaus des Ordens, ist der Andrang noch größer. Dutzende Menschen scharen sich um das Grab von Mutter Teresa und um ihre Statue im Eingangsbereich des Hauses. "Hier ist immer viel los", sagt eine der Schwestern. "Aber durch die Heiligsprechung sind es noch einmal mehr Besucher geworden."

Davon profitieren auch die übrigen Einrichtungen, die der Orden in der Stadt betreibt. Im Shanti Dan – frei übersetzt "Ruhestifter" oder "Zufluchtsort" – betreut der Orden obdachlose Frauen, die geistig verwirrt in Kolkata aufgefunden werden. Mehr als 400 leben dort im Durchschnitt. Neben den festen Betreuern arbeiten auch hier Dutzende Freiwillige.

"Kolkata hat immer schon viele freiwillige Helfer angezogen, weil es hier war, wo Mutter Teresa selbst gearbeitet hat", sagt Schwester Benedicta. "Durch die Heiligsprechung haben wir noch einmal mehr Aufmerksamkeit bekommen." Die Medizinerin stammt ursprünglich aus Jena, ist aber bereits sehr 24 Jahren Schwester bei den Missionarinnen der Nächstenliebe, davon sechs in Kolkata. "Die Heiligsprechung ändert nichts an unserer eigentlichen Arbeit", sagt sie. "Aber sie inspiriert uns und auch die Menschen, die unsere Arbeit sehen."

Für den Sonntag haben fast alle Einrichtungen des Ordens in der Stadt große Bildschirme aufgebaut. Wer möchte, kann die Heiligsprechung dort verfolgen. In einem Flügel des Shanti Dan steht eine Bäckerei, in der Frauen mit geistiger Behinderung für die restlichen Bewohner der Einrichtung backen. Für den Sonntag stehen dort Hunderte Kekse und Muffins bereit. "Wir wollen nicht nur Krankenhaus sein, sondern auch Zuhause", sagt Schwester Benedicta.

 


Grab von Mutter Teresa in Kolkata / © Piyal Adhikary (dpa)
Grab von Mutter Teresa in Kolkata / © Piyal Adhikary ( dpa )
Quelle:
dpa